Der aristotelische Bewegungsbegriff und sein Einfluss auf die moderne Physik

Im Zentrum der aristotelischen Physik steht die Kinesis, die man sowohl mit Werden, Veränderung oder Bewegung übersetzen kann.

So schreibt Aristoteles[1]: „Wer die Kinesis nicht kennt, kennt die Natur nicht.“ Hier seine allgemeine Definition[2]:

Kinesis (Werden, Veränderung, Bewegung) ist das zur Wirklichkeit-Kommen eines bloß der Möglichkeit Seienden, insofern es ein solches ist.

Entsprechend den verschiedenen Kategorien kann die Kinesis verschiedene Bedeutungen haben:

Kategorie Beispiel bzw. Erklärung
Wesen/Substanz „Ein Mensch wird/entsteht.“

Nur Substanzen können schlechthin werden, in dem Sinne, dass überhaupt ein neues Individuum entsteht.

Qualität „X wird rot.“, „X wird gebildet.“

Eine Substanz bekommt eine Eigenschaft, die sie vorher nicht hatte.

Quantität „X wächst.“, „X wird größer/kleiner/nimmt zu/nimmt ab.“
Relation „X wird Vater von Y“
Ort „X bewegt sich von A nach B“

Eine Definition in einer solchen Allgemeinheit aufzustellen, war eine besondere intellektuelle Leistung Aristoteles‘. Diese Allgemeinheit war aber zugleich ein Hemmnis für die Ausbildung der modernen Natur­wissen­schaften. Galileis Verdienst bestand unter anderem darin, die räumliche Bewegung für sich alleine und unabhängig von den anderen Kinesis-Arten zu betrachten.

Wie oben bereits erwähnt, unterschied Aristoteles zwischen natürlicher von nicht-natürlicher Bewegung. Eine Kinesis, egal ob Veränderung, Werden oder Bewegung, ist natürlich, wenn ein Ding den Grund für die Kinesis in sich selbst hat. In dem Plattensee-Beispiel waren es vor allem die Lebewesen, die sich selbständig, ohne Einwirkung von außen bewegen konnten. Auch das Fallen eines Steines ist natürlich, weil auch hier der Grund der Bewegung an der Natur des Steines selbst, dass er nämlich seinen natürlichen Ort Unten hat. Ein anderes Beispiel ist, wie aus einem Samen eine Blume wird. Offenbar legt der Grund für dieses Werden im Samen selbst.

Ein typisches Beispiel für ein unnatürliches Werden ist die Entstehung einer Statue aus einem Stück Marmor. Denn der Grund für dieses Entstehen liegt ja nicht in der Figur selbst, sondern in dem künstlerisch tätigen Menschen. Eine unnatürliche Bewegung wird allerdings auch dann vollzogen, wenn man einen Stein wirft. Denn die Ursache für den Wurf liegt nicht in dem Stein, sondern in der Person, die ihn wirft. So ist es kein Wunder, dass die aristotelische Physik, sowie alle späteren Verbesserungsversuche, massive Schwierigkeiten hatten, Flugbahnen von Wurfgeschossen zu erklären. Jedenfalls führten unter anderem die Versuche, die Bewegung eines geworfenen Gegenstands zu erklären, was ja nach Aristoteles eine unnatürliche Bewegung ist, zur neuen Physik.

Aufgrund dieser Unterscheidung von natürlicher und unnatürlicher Bewegung, kann auch die gesamte Mechanik kein Teil der aristotelischen Physik sein, die eine Lehre von den natürlichen Bewegungen sein soll. Denn immer wenn ein Körper auf einen anderen Körper einwirkt, handelt es sich definitionsgemäß um keine natürliche Bewegung. Auch dies war für die Ausbildung der modernen Physik eher ein Hemmnis. In der Neuzeit war es für Physiker wie Galilei ein schwer zu vollziehender Schritt, den aristotelischen Unterschied, ob ein Körper aufgrund der Gravitation nach unten fällt oder ob er von einem Menschen geworfen wird, zu überwinden.

[1] Aristoteles Physik, 200 b 15-16.

[2] Aristoteles Physik, 201 a 15.

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