Aristotelische Dynamik und das Problem der Flugbahnen

Aristoteles lehrt, dass jede Bewegung eine unmittelbare Bewegursache benötigt; und die Bewegung hält genau so lange an, wie diese Ursache wirksam ist.

Ein Wagen wird nur exakt so lange gezogen, wie das Pferd zieht. Sobald das Pferd stehenbleibt, stoppt auch der Wagen. Aristoteles ist dabei entgangen oder hat sich nicht dafür interessiert, dass der Wagen durchaus noch eine Eigendynamik nach vorne hat, die eventuell abgebremst werden muss. Dieses Phänomen wird Trägheit genannt und wurde erst etwa um 1600 als allgemeines physikalischen Prinzip angenommen.

Abgesehen von der Trägheit, entspricht auch hier die aristotelische Vorstellung ziemlich gut dem Augenschein der normalen Alltagserfahrung. Man zieht oder drückt an einem Körper, also bewegt er sich. Man hört auf zu ziehen oder zu drücken und die Bewegung des Körpers hört auf. Klar scheint auch zu sein, dass die Geschwindigkeit direkt proportional zu der Kraft ist, die man beim Ziehen oder Drücken aufwendet. Will ich, dass der Handwagen sich nur langsam bewegt, dann ziehe ich weniger stark; will ich ihn schneller bewegen, so muss ich stärker ziehen.

Andererseits ist beim Ziehen oder Drücken auch ein Widerstand zu überwinden. Je glatter der Boden ist, umso geringer der Widerstand und umso schneller werde ich bei gleichem Kraftaufwand den Körper beschleunigen können. Umgekehrt gilt: Je mehr Hindernisse das Ziehen erschweren, umso langsamer wird der Körper bei gleichem Kraftaufwand gezogen werden. Modern formuliert:

Geschwindigkeit ∼ Kraft / Widerstand

Vergleichen wir diese Formel damit, was die Newtonsche Physik lehrt:

Beschleunigung = Geschwindigkeitsänderung / Zeit ∼ Kraft/Masse – Widerstand

Ohne hier ins Detail zu gehen, sieht man sofort, dass es erhebliche Unterschiede zwischen der aristotelischen und der modernen Vorstellung gibt:

Aristoteles‘ Theorie Newtons Theorie
Bei konstanter Kraftausübung, bleibt die Geschwindigkeit des gezogenen Körpers konstant. Bei konstanter Kraftausübung, wird der Körper – unter idealen Bedingungen – schneller.
Gibt es keine Kraftausübung, so gibt es auch keine Geschwindigkeit. Gibt es keine Kraftausübung, so bleibt die Geschwindigkeit des Körpers – unter idealen Bedingungen – konstant (Trägheitsgesetz).
Bewegung ist ein Prozess. Bewegung ist ein Zustand.

Ich möchte es aber an dieser Stelle noch einmal betonen: Die aristotelische Vorstellung entspricht mehr der normalen Alltagserfahrung als die Newtonsche Formel. Paradoxerweise ist die moderne Physik mit dem normalen Augenschein schlechter in Einklang zu bringen, zumal ihre Formeln erst einmal nur korrekt sind unter der Annahme bestimmter Idealbedingungen. Und dennoch hat die aristotelische Theorie zu solch großen Schwierigkeiten geführt, die die moderne Physik wiederum lösen konnte, dass heutzutage niemand mehr Aristoteles für richtig hält. Dazu kam, dass die moderne Physik gerade wegen ihrer Mathematisierung eine Erfolgsgeschichte sondergleichen wurde.

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die der aristotelischen Theorie zu schaffen machte, ist die Flugbahn eines geworfenen Körpers. Angenommen, man wirft einen Stein; man holt aus, schleudert den Arm nach vorne und lässt den Stein los. Offenbar wird der Stein bewegt, solange man ihn noch in der Hand hat, was mit Aristoteles in Einklang steht, weil die Wirkursache, in diesem Fall der werfende Mensch, in unmittelbaren Kontakt mit dem Stein ist. Sobald man den Stein aber loslässt, gibt es keinen Kontakt mehr; also kann es nach Aristoteles‘ Theorie auch keine Kraftausübung mehr nach vorne geben. Stattdessen müsste der Stein auf direktem Wege nach unten fallen, denn so liegt es in der Natur eines schweren Gegenstandes.  Dass der Stein aber in Form einer Parabel weiterfliegt entspricht nicht dem, was nach Aristoteles‘ Theorie zu erwarten ist.

Die moderne Lösung besteht in dem Konzept der Trägheit. Das kannten Aristoteles und seine Nachfolger aber nicht. Stattdessen mühten sie sich mit unplausiblen Erklärungsversuchen ab.

Ohne an dieser Stelle weiter darauf einzugehen, möchte in noch ein anderes Problem der aristotelischen Naturlehre erwähnen. Sie kann zwar plausibel machen, warum ein schwerer Gegenstand überhaupt fällt; Schweres strebt eben zu seinem natürlichen Platz, der unten ist. Was Aristoteles aber nicht erklären kann, ist, warum die Geschwindigkeit des fallenden Gegenstands während seines Falls zunimmt.

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