Weltbilder

Ich behaupte, dass die antiken ein Verständnis der Welt hatten, das sich von unserem heutigen deutlich unterscheidet. Sie hatten sozusagen ein anderes Weltbild …

Menschen orientieren sich in der Welt. Sie versuchen Ordnung und Sinn in das zu bringen, was sie erfahren und erleben. Und normalerweise tun sie das nicht einfach nur so, jeder für sich, sondern als Teil einer Gemeinschaft. Der Physiker Josef Honerkamp schreibt[1]:

„Jeder und jede von uns trägt mehr oder weniger bewusst ein bestimmtes Bild von der Welt in sich. Dabei kann man höchst Unterschiedliches unter ‚Welt‘ verstehen […].

Unser Weltbild ist meistens die Frucht einer langen Entwicklung. Als Kind übernimmt man Ansichten und Gewohnheiten der Eltern und der Gemeinschaften, in denen die Familie lebt. Als Heranwachsender erhält man die Chance, Erfahrungen und Einsichten aus weiteren Kreisen zu sammeln […]. Die Religionen, die Künste und Wissenschaften sowie die alltägliche Flut von Informationen, die uns aus den Medien und durch die Kommunikation mit anderen entgegenkommt, beeinflussen ständig unsere Einstellungen zu den Fragen, die unsere Stellung in dieser Welt und unsere Sicht auf diese betreffen.“

Dieser Darstellung Honerkamps folge ich. Man könnte vielleicht neben Weltbildern noch Wertesysteme und Konventionen ergänzen. Und wie Honerkamp, sehe ich auch eine Pluralität und einen Wandel von Weltbildern. Das heißt, auch wenn man ein Teil einer Gemeinschaft ist, bedeutet das nicht, dass man in jedem Detail dasselbe Weltbild hat. Manche Menschen stimmen in so gut wie allen Punkten überein, manche in sehr vielen, manche nur in einigen, bei manchen überwiegen die Differenzen. In jedem Fall sind die Grenzen fließend und nicht scharf. Außerdem verlaufen die Grenzlinien bisweilen quer durch die Gesellschaft. Beispielsweise könnte die Oberschicht einem anderen Weltbild angehören als die Unter- oder Mittelschicht.

Mit Sicherheit spielt die Erziehung eine große Rolle. Junge Menschen werden zu einem bestimmten Weltbild hin erzogen. Und so kann es beispielsweise geschehen, dass man als Abgänger eines bestimmten Schulsystems eine andere Sicht auf die Dinge hat als der Rest der Bevölkerung. So gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die gut ausgebildete intellektuelle Elite des alten Griechenland zu einem Weltbild heranerzogen wurde, das ich „logisch-rationales“ Weltbild nennen möchte, und das höchstwahrscheinlich der Großteil der damaligen Bevölkerung Griechenlands nicht teilte.

Viele Menschen übernehmen Wertesystem, Konventionen und Weltbild, einfach indem sie ein Teil der Gemeinschaft sind und denken nicht darüber nach. Man hält eben das und das für gut oder für schlecht, man tut einfach das und das in bestimmten Situationen und man denkt einfach so und so über „Gott und die Welt“. All das wird als selbstverständlich angenommen.  Und da das alles selbstverständlich ist, muss es auch nicht besonders thematisiert werden.

Ein Bereich, in dem unausgesprochene Grundanschauungen mehr oder weniger explizit gemacht werden sind Religion, Dichtung, Literatur und Kunst, aber auch in Naturwissenschaft und Philosophie. Man kann sich Beispiele daraus genauer ansehen und versuchen, das zugrundeliegende Weltbild oder Wertesystem herauszuarbeiten. Sie werden schließlich am klarsten beschrieben durch Reihe von Glaubenssätzen. Ein typisches naturwissenschaftliches Weltbild hat andere Glaubenssätze als ein religiös-christliches oder ein muslimisches Weltbild.

Ich behaupte, alle Menschen haben ihr jeweiliges Weltbild, über das sie sich mehr oder weniger im Klaren sind. Manche Menschen haben, wie gesagt, ähnlichere Weltbilder und manche haben sehr unterschiedliche Auffassungen von der Welt. Man kann verschiedene Weltbilder sozusagen nach Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit anordnen.

Klar ist: Je ähnlicher die Weltbilder sind, die zwei Menschen haben, umso besser ist die Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis. Solche Menschen sind sich einig in bezug auf ein paar grundlegende Auffassungen oder Glaubenssätze. Sie halten dieselben Dinge für wahr, sie haben zum Teil dieselbe Sprache und dieselben Denkweisen. Und je verschiedener die Weltbilder, umso schwieriger wird gegenseitiges Verständnis. Ein konservativ eingestellter, politisch interessierter Bürger wird sich schwerer tun, Marx zu verstehen als ein Sozialist. Ein tief religiöser Christ wird sich eventuell schwer tun mit einem sehr naturwissenschaftlich orientierten Zeitgenossen, und umgekehrt.

Wie gesagt, das Fatale an Weltbildern ist oft, dass man die zugrundeliegenden Auffassungen für so selbstverständlich hält, dass man es für unnötig erachtet, sie explizit zu machen. Das kann so weit gehen, dass zwei Menschen permanent aneinander vorbeireden, weil sie völlig konträren Weltbildern angehören, und nicht einmal einen Weg finden, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Um die Kluft überbrücken zu können, ist es hilfreich, die Auffassungen und Glaubenssätze des anderen explizit zu machen. Man muss nicht selbst dasselbe meinen, aber zumindest weiß man, wovon der andere spricht bzw. wie der andere denkt.

Selbstverständlich kann eine solche Kluft oft auch über die Jahrhunderte hinweg bestehen. Meine These ist, dass die alten griechischen Philosophen ab Parmenides, so sehr sie sich auch in vielen Details unterscheiden, doch im Kern ein gemeinsames Weltbild vertreten haben, das unseren heutigen Weltbildern zum Teil konträr entgegengesetzt ist. Und dieses Weltbild hat sich bis Kant gehalten. Diese Unterschiedlichkeit macht uns viele Philosophen schwer zugänglich. Wer nicht gerade Philosophie studiert hat und sich so über Jahre hinweg an das philosophische Denken gewöhnt hat, findet viele philosophische Texte meistens als schlicht merkwürdig. Ich glaube, dass es leichter ist, diese Denker zu verstehen, wenn man deren gemeinsames Weltbild kennt. Was sie sagten, werden wir heute größtenteils nicht mehr für wahr halten, aber wir werden es zumindest besser nachvollziehen können.

Arbeitet man ein solches Weltbild heraus, dann ist der Unterschied zwischen damaliger Denkweise und heutiger Denkweise klar und greifbar. Gleichzeitig ist es, finde ich, faszinierend, wie sich grundlegende Sichtweisen auf die Welt so stark verändern können. Der Reiz, sich mit Philosophiegeschichte zu beschäftigen, besteht darin, sozusagen in ein anderes Weltbild einzutauchen. Man liest z.B. Platon und versucht sich in sein Weltbild hineinzudenken.

[1] Siehe Honerkamp [16], S. 1-2.

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