Tycho Brahe
Der dänische König Friedrich II. stellte Tycho Brahe (1546-1601) als Hofastronom ein, überließ ihm die Ostseeinsel Hven und hinreichend finanzielle Mittel, um seine Sternwarte Uranienborg einzurichten.
Frei von allen Geldsorgen, konnte Tycho sich dort etwa zwanzig Jahre lang und unter besten Voraussetzungen seinen astronomischen Studien hingegen.
Das Fernrohr war noch nicht erfunden. Freilich benutzte man Instrumente zur Positionsbestimmung, aber letztlich mussten die Astronomen vor 1609 den Himmel noch mit dem bloßen Auge beobachten. Brahe perfektionierte die damals zur Verfügung stehenden astronomischen Instrumente, z.B. indem er sie gigantisch groß herstellen ließ. Auf diese Weise erreichte er die Grenze dessen, was freiäugig überhaupt messbar war.
Die meisten Beobachtungsdaten vor Brahe waren einerseits recht ungenau, andererseits auch eher sporadisch. Brahe hingegen lieferte astronomische Messdaten von hoher Qualität, die er systematisch über viele Jahre hinweg sammelte. Für die Astronomie ein unvergleichlicher Schatz. Hier ein Ausschnitt aus seinen mannigfaltigen Resultaten:
- Verbesserung verschiedener astronomischer Konstanten;
- die Entdeckung zweier neuer Ungleichheiten in der Mondbewegung;
- deutliche genauere Mond- und Sonnentafeln;
- ein Katalog von 1000 Fixsternen zusammen mit deren genauen Positionen am Himmel;
- Tafeln für die sog. atmosphärische Refraktion.
Glücklicherweise erschien 1572 ein neuer Stern, eine sogenannte Nova, am Nachthimmel und 1576 ein Komet. Beide Himmelserscheinungen konnte er sorgfältig ausmessen. Die Astronomen hielten sich damals an das aristotelische Modell, dem gemäß die Planeten durch undurchdringliche, kristalline Äthersphären getragen würden und dass alle Veränderung am Himmel nur im sublunaren Bereich stattfinden würde. Daher war man der allgemeinen Überzeugung, dass auch die Nova von 1672 als auch der Komet von 1576 im sublunaren Bereich stattgefunden haben. Brahes Messungen ergaben aber, dass sowohl die Nova als auch der Komet erheblich weiter von der Erde entfernt sein mussten als der Mond. Somit war klar, dass es Veränderungen am Himmel auch im Bereich jenseits des Mondes gibt. Ein erster massiver Widerspruch zu Aristoteles. Ferner konnte Brahe ausmessen, dass die Bahn des Kometen von 1576 quer durch die verschiedensten Planetensphären ging. Das ist aber ein zweiter massiver Widerspruch zu Aristoteles, denn offenbar waren die vermeintlichen kristallinen Äthersphären doch nicht undurchdringlich.
Uns heutzutage erscheint die kopernikanische Wende als der große revolutionäre Schritt der neuzeitlichen Astronomie. Kopernikus war aber noch sehr in der aristotelischen Gedankenwelt befangen, mit ihren gleichförmigen Kreisbewegungen, der unveränderlichen Ewigkeit des Himmels, den kristallinen Äthersphären. Einen ersten größeren Riss erfuhr diese Gedankenwelt tatsächlich erst durch Tycho Brahes Beobachtungen der Nova von 1572 und des Komets von 1576.
Brahes Stärke war sicherlich die Beobachtung. Was die astronomische Theorie betrifft, war er anfänglich ein Befürworter des kopernikanischen Modells. Vielfältige physikalische Argumente brachten ihn aber wieder davon ab. Schließlich entwickelte er ein Mischsystem, in dem alle Planeten um die Sonne kreisen, die Sonne aber um die unbewegte Erde. Brahes astronomisches Mischmodell wurde ab 1600 bei Astronomen durchaus beliebt und wurde noch lange bis Mitte des 17. Jahrhunderts verwendet.
Wissenschaftstheoretisch ist es bemerkenswert, dass selbst für eine solche Mischkonzeption ein Berechnungsmodell möglich ist, das ebenso gute Prognosen erlaubt wie das ptolemäische oder das kopernikanische System. Dies weist voraus auf Pierre Duhem, der in seinem Werk Ziel und Struktur der physikalischen Theorien von 1905 darlegt, dass es zu gegebenen Messdaten unendlich viele denkbare, passende Theorien gibt. Zumal wenn man berücksichtigt, dass jede Messung auch mit einer Messfehlertoleranz versehen ist. Deswegen werden mögliche Theorien ausgesondert, wenn die Messungen genauer werden. Und genau das ist durch Tycho Brahe passiert. So schreibt Dijksterhuis[1]:
„Solange man es mit Kopernikus als höchstes Ideal betrachtet hatte, die Planetenörter mit einer Genauigkeit von zehn Bogenminuten wiederzugeben, hatten sich viele Abweichungen zwischen Theorie und Beobachtung vertuschen lassen. Als aber Tycho die Genauigkeitsgrenze der Messungen auf zwei Bogenminuten und manchmal sogar auf eine Minute oder dreißig Sekunden herabgedrückt hatte, und er also von der theoretischen Systematisierung das gleiche Maß an Genauigkeit […] verlangen musste, nahmen die Schwierigkeiten der kinematischen Abbildung immer mehr zu; es erwies sich schon bald als notwendig, die Exzentrizitäten der Planetenbahnen veränderlich zu denken und ihre Dimensionen pulsierend variieren zu lassen; und immer noch wollte der Anschluss an die Beobachtung nicht gelingen. Tycho strebte nach einem Ideal, das er durch sein eigenes Werk immer unerreichbarer machte.“
Die theoretischen Schwächen der bisherigen Berechnungsmodelle konnten also vor Brahe noch im Rahmen der Messfehler toleriert werden. Gerade durch die sehr präzisen Beobachtungsdaten Brahes wurden diese Schwächen offensichtlich, und zwar egal ob man ptolemäisch oder kopernikanisch rechnete. Die Theorie, die wieder hinreichend gut zu Brahes Messdaten passte, war erst Keplers neue Astronomie mit elliptischen Planetenbahnen. Erst Keplers System, das die präzisesten Prognosen ermöglichte, verhalf letztlich dem heliozentrischen Weltbild zum Durchbruch.
[1] Dijksterhuis: Das mechanistische Weltbild, S. 325 f.
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