Kopernikus und das heliozentrische Weltbild
Kopernikus (1473-1543) ist ein Wissenschaftler, dessen Name wie kaum ein anderer für eine radikale Änderungen der Sichtweise auf die Welt steht.
In seinem Werk De revolutionibus orbium coelestium, dt. Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären, wendet er sich vom geozentrischen Weltbild ab und stellt stattdessen die Sonne in den Mittelpunkt des Kosmos. Er veröffentlichte es aber nicht zu seinen Lebzeiten, sondern sorgte dafür, dass es posthum erschien.
So paradox es scheinen mag, aber Kopernikus wurde vielleicht von rückwärtsgewandten, konservativen Motiven auf das heliozentrische Weltbild gebracht. Jedenfalls schreibt Dijksterhuis[1]:
„Kopernikus bringt in dem System des Ptolemäus zwei prinzipielle Änderungen an, die beide eigentlich eine Rückkehr zu älteren griechischen Vorstellungen bedeuten: er nimmt an, dass die Erde sich bewegt; und er macht ernst mit der platonischen Vorschrift, dass die Himmelserscheinungen ausschließlich durch gleichförmige Kreisbewegungen gerettet werden müssen.“
Unbezweifelbar lässt das ptolemäische Modell brauchbare Prognosen zu. Die Beobachtung des Nachthimmels musste ja noch mit bloßem Auge geschehen, so dass die Messgenauigkeit sowieso nicht besonders hoch war. Es bestand also zu Kopernikus‘ Zeiten sicherlich keine Notwendigkeit, nach einem präziseren Berechnungsmodell Ausschau zu halten. Was Kopernikus wohl in erster Linie missfiel, waren die vielen „unschönen“ Kompromisse des ptolemäischen Systems; vorneweg die oben erwähnte Ausgleichsbewegung. Sie war es vor allem, die die gleichförmigen Kreisbewegungen zerstörte.
Wie oben bereits gesagt, vertraten wahrscheinlich die Pythagoreer ein heliozentrisches Weltbild, die Platoniker sympathisierten zumindest damit. Die Sonne hat ja eine durchaus religiöse Symbolik und ist bei Platon eine Metapher für die Idee des Guten. Daher ist es naheliegend, dass ein Denker, der das Universum mystisch-religiöse auffasst, die Sonne ins Zentrum stellt, so dass alles andere darauf ausgerichtet ist. In diesem Sinne schreibt Kopernikus:
„Zumitten aller Himmelskörper thront die Sonne. Wer hätte in diesem prachtvollen Tempel diese Lampe an einen besseren Platz stellen können als dorthin, von wo aus sie alles zugleich beleuchten kann? Wahrlich nicht zu Unrecht haben manche sie als Licht der Welt, andere deren Geist, wieder andere deren Herrscher genannt.“
Genau genommen hatte man ja in der Antike und im Mittelalter zwei verschiedene astronomische Modelle, ein aristotelisch-naturphilosophisches und das ptolemäische System. Gemäß dem naturphilosophischen Modell werden der Mond, die Sonne und die Planeten von kristallinen Äthersphären getragen, die der Reihe nach übereinander liegen und jeweils ihre eigene perfekt kreisförmige Drehbewegung vollziehen. Das ptolemäische System hingegen ist ein Berechnungsmodell, um die tatsächlichen Bahnen der Himmelskörper zu berechnen und zu prognostizieren.
Auf ähnliche Weise entwirft auch Kopernikus zwei Modelle. Im ersten Teil von De Revolutionibus beschreibt er zunächst ein naturphilosophisches Modell, das dem bisherigen aristotelischen Modell gleicht. Es gibt nur zwei Unterschiede: a) dass nun die Sonne im Mittelpunkt steht und nicht mehr die Erde; und b) dass Kopernikus die Erde täglich um die eigene Achse rotieren lässt. Aber auch er hält an der idealen, gleichförmigen Kreisbewegung fest. Auch sein Kosmos hatte nur einen sehr begrenzten Umfang. Er hatte noch nicht die Vorstellung von durchs Weltall fliegenden Planeten; vielmehr orientierte er sich an dem traditionellen Modell, dem gemäß die Planeten getragen werden durch entsprechende ineinander geschachtelte, kristallene Äthersphären.
Dieses Modell unterscheidet sich im Gesamtkonzept nur unwesentlich von dem aristotelisch-naturphilosophischen Modell. Beide sind schön. Aber weder mit dem einen, noch mit dem anderen kann man die Planetenbahnen berechnen oder prognostizieren. So braucht auch Kopernikus ein weiteres, mathematisches Modell, das er im zweiten seines Werkes vorstellt.
Im ptolemäischen System werden die Planetenbahnen mittels dreier Bewegungen berechnet, die sich gegenseitig überlagern: a) die epizentrische Bewegung, b) die exzentrische Bewegung und c) die Ausgleichsbewegung. Gerade die an dritter Stelle genannte Ausgleichsbewegung galt den Astronomen als höchst „unschön“, da sie die Gleichförmigkeit der Planetenbewegungen zerstörte und außerdem physikalisch vollständig unerklärlich war. Kopernikus‘ Hauptanliegen bestand darin, diese seltsame Ausgleichsbewegung abzuschaffen, um so wieder zu perfekten Kreisen zurückzukommen; bzw. zu fast perfekten Kreisen, denn auch er brauchte epizentrische und exzentrische Komponenten.
Tatsächlich glückt es Kopernikus, ein mathematisch-astronomisches Modell zu schaffen, bei dem er vollständig auf „unschöne“ Ausgleichsbewegungen verzichten kann. Allerdings benötigt er dazu deutlich mehr Epizyklen als Ptolemäus. Unterm Strich ist das mathematische Modell des Kopernikus in etwa so komplex wie das traditionell geozentrische Modell.
Letztlich hatte man mit Kopernikus nicht viel gewonnen. Man hatte nach wie jeweils vor ein schönes, idealtypisches philosophisches Modell, das aber beide Male nicht die tatsächlichen Planetenbahnen berechnen ließ. Beide Male hatte man jeweils ein sehr komplexes mathematisches Modell. Und die Prognosegüte verbesserte sich Dank Kopernikus auch nicht. Dazu kam aber, worauf ich später eingehen werde, dass das kopernikanische Modell mit schwerwiegenden physikalischen Problemen behaftet ist.
Weshalb machte sich dann aber Kopernikus diese Mühe? Ich denke: vor allem aus mathematisch-ästhetischen Gründen. Nicht-Mathematikern mag das merkwürdig klingen. Aber tatsächlich ist die Ästhetik eine sehr wichtige Antriebskraft in der Mathematik. Ein Beweis muss nicht nur richtig sein, er muss auch „schön“ oder „elegant“ sein. Nicht selten wenden Mathematiker viel Zeit und Mühe auf, um einen bestehenden und als richtig anerkannten Beweis so zu verbessern, dass er „schöner“ wird. In diesem Sinne ist das kopernikanische System „schöner“ als das ptolemäische System:
- dass sich die Planeten samt Erde um die Sonne dreht, ist religiös-mystisch harmonischer und somit „schöner“;
- dass die Ausgleichsbewegung vermieden wird, und somit die konstante Geschwindigkeit erhalten beliebt, ist „schöner“.
Wenn das wirklich so ist, dass Kopernikus vor allem mathematisch-ästhetisch motiviert war, dann ist das ein Hinweis auf das, was ich die Mathematisierung der Natur genannt habe. Dies wird noch durch folgendes Zitat von Dijksterhuis untermauert[2]:
„Neu […] ist dann jedoch der Gedanke, dass ein kugelförmiger Körper von Natur aus eine gleichförmige Rotation um einen seiner Durchmesser ausführen muss. An der Stelle des religiösen Mythos, das Platon veranlasst hatte, Himmelskörpern nur gleichförmige Rotationen zuzugestehen (jede Unregelmäßigkeit würde der Natur des Göttlichen widersprechen), und an Stelle des physikalischen, das Aristoteles diese Forderung übernehmen ließ (die Seinsform der fünften Essenz schließt gleichförmige Bewegung ein) tritt nun also ein solches mathematischer Art: der Bewegungszustand geht aus der geometrischen Form hervor.“
Demnach hat Kopernikus die Rotationsbewegung der Erde alleine aus ihrer geometrischen Form abgeleitet. Wie sich die Dinge verhalten oder wie sie sind, wird auf ihre mathematische Struktur zurückgeführt. Ähnliche Gedankengänge finden sich später bei Galilei und bei Descartes.
Auf der anderen Seite wirft das kopernikanische scherwiegende Fragen auf. Auch mit damaligen Mitteln konnte man den Abstand von der Erde zu Sonne abschätzen und schließlich den ungefähren Umfang der Umlaufbahn der Erde berechnen. Unter der Annahme, dass sich die Erde um die Sonne dreht, müsste die Erde mit etwa 100.000 km/h durch das Weltall schießen, schneller als jede Kanonenkugel. Außerdem hätte die Erde am Äquator eine Rotationsgeschwindigkeit von etwa 1500 km/h. Das sind unglaublich hohe Geschwindigkeiten. Warum merkt man davon aber nichts auf der Erde? Die Antwort hierauf setzt voraus, dass man das Trägheitsprinzip kennt, das aber zur Zeit von Kopernikus noch vollkommen unbekannt war.
Ein zweites Problem ist, dass zu Kopernikus‘ Zeiten keine Parallaxe (auch parallaktische Verschiebung oder trigonometrische Parallaxe genannt) zu den Fixsternen nachweisbar war[3]. Grundlage des astronomischen Phänomens der Parallaxe ist, dass alle Himmelskörper so erscheinen, als wären sie auf eine Himmelssphäre projiziert. Nehmen wir an, man misst heute die genaue Position x eines bestimmten Fixsterns am Nachthimmel und dann wieder nach einem Jahr, sagen wir y. Falls sich die Erde bewegt, hat sich auch der Ort der Beobachtung geändert, sagen wir von A nach B, dann müssten auch x und y geringfügig zueinander verschoben sein. Dieser Zusammenhang war schon in der Antike klar. Und weder in der Antike noch in der frühen Neuzeit war es Astronomen möglich irgendwelche Parallaxen festzustellen. Da man auch noch annahm, dass die Fixsterne der Erde viel näher sind, als sie es tatsächlich sind, war das ein handfestes Gegenargument dagegen, dass sich die Erde bewegt.
Übrigens ist erst dem Astronom Friedrich Wilhelm Bessel im Jahre 1838 gelungen, für einen Fixstern eine jährliche Parallaxe von 0,318‘‘ durch Messung nachzuweisen. Neben dem Foucaultschen Pendel ist das einer der physikalischen Beweise für die Erdbewegung.
Fazit: Dass Kopernikus das heliozentrische Modell entwarf ist vor allem auf ästhetisch-mathematische Motive zurückzuführen. Das kopernikanische Berechnungsmodell war allerdings mindestens so komplex wie das ptolemäische, ohne aber dass die Prognosegüte verbessert worden wäre. Auf der anderen Seite gab es – aus der damaligen Sicht – schwerwiegende physikalische Gründe gegen eine Bewegung der Erde.
Vor diesem Hintergrund ist es schon fast erstaunlich, dass sich der Heliozentrismus von Kopernikus letztlich dann doch durchsetzen konnte. Das ist aber vor allem Johannes Kepler zu verdanken. Kepler modifizierte das heliozentrische Modell so, dass sich die Erde und die Planeten in Ellipsen um die Sonne bewegen, und zwar in wechselweise beschleunigender und abbremsender Weise. Damit sind wir aber weit von den ursprünglichen Zielen des Kopernikus entfernt, der ja gerade die Kreise und die gleichförmige Bewegung retten wollte.
Keplers Theorie wäre aber nicht möglich gewesen ohne den dänischen Astronomen Tycho Brahe. Er hielt zwar an dem geozentrischen Weltbild fest, aber er beobachtete über fast zwanzig Jahre systematisch Beobachtungsdaten über das Himmelsgeschehen in einer noch nie dagewesenen Genauigkeit. Es war dann ein historischer Glücksfall, dass Kepler der letzte Assistent Brahes war, bevor er starb, so dass er sein umfangreiches Datenmaterial auswerten konnte.
[1] Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 320 f.
[2] Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 322.
[3] Siehe auch Walter Hehl: Galilei kontrovers, S. 178.
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