Spinoza und die göttliche Substanz
Spinoza (1632-1677) knüpfte in vielen Punkten an Descartes an[1], um dann in eine ganz andere Richtung weiterzudenken.
Er ersann eine pantheistische Philosophie, in deren Zentrum Gott steht. Zu seinen Lebzeiten blieb er weitgehend unbekannt, hatte aber etwa 125 Jahre später großen Einfluss auf die Philosophie Hegels und Schellings. Sein Hauptwerk ist die Ehtik nach geometrischer Methode dargestellt, das 1677 veröffentlicht wurde.
In seiner Ethik präsentiert Spinoza eine Theorie, die in ihrer Konzeption Ähnlichkeit mit der Stoa hat. Denn er entwirft eine Gesamterklärung der Welt, um letztlich die Bedingungen für ein wahrhaft glückliches Leben zu geben. Die höchste Glückseligkeit besteht nach Spinoza darin, Gott und seine gesetzmäßige Ordnung adäquat zu erkennen, das heißt vor allem einzusehen, dass alles mit Notwendigkeit geschieht. Spinoza ist uneingeschränkter Determinist. Glücklich ist man, wenn man dies begreift und sich in die Notwendigkeit allen Geschehens fügt. Auch diese Konsequenz für die Lebensführung erinnert an die Stoa.
Wie gesagt bezieht sich Spinoza durchaus auf Descartes. In einem wichtigen Punkt folgt er Descartes aber nicht. Und zwar lehnt Spinoza das Zweifle-an-Allem-Gedankenexperiment ab. Auch benötigt Spinoza nicht die res cogitans, um daraus vermeintlich alles weitere herzuleiten. Stattdessen beginnt Spinoza ohne Umschweife mit einer Definition Gottes, sowie einer Reihe von „Axiomen“, also alles Dinge, die Descartes „eingeborene Ideen“ genannt hat. Daraus leitet Spinoza dann deduktiv seine gesamte Philosophie ab.
Spinoza lehnt auch deswegen Descartes‘ Zweifeln ab, weil er meint, dass man gar nicht an der Existenz Gottes zweifeln könne, wenn man nur eine korrekte Kenntnis Gottes hat. Spinoza überspringt sozusagen den ersten cartesischen Schritt, um direkt mit Gott zu beginnen und von dort aus alles weitere abzuleiten.
Wie Descartes stellt sich auch Spinoza die Frage, wie man zu unumstößlich wahrer Erkenntnis gelangen kann. Spinoza gibt darauf zwei Antworten:
- durch vollkommene Definitionen, und
- durch die geometrische Methode, worunter er das streng logische Ableiten von Sätzen aus obersten Axiomen und Definitionen meint.
Vollkommen ist eine Definition dann, wenn „sie das innerste Wesen einer Sache [ausdrückt]“. Ferner muss man sich beim Definieren davor hüten, „gewisse Eigenschaften für die Sache selbst [zu nehmen]“[2].
Für Gott gibt er nun die folgende Definition[3]:
„Unter Gott verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, das heißt die Substanz, die aus unendliche vielen Attributen besteht, deren jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt.“
Nach Spinoza schließt diese Definition Gottes bereits die Existenz Gottes ein. Genau genommen ist Gott das einzige Wesen, bei dem dies gilt. Und schließlich folgert Spinoza, dass es überhaupt nur eine einzige Substanz geben kann, nämlich Gott.
Wie oben dargelegt, lehnt Spinoza das Zweifle-an-Allem-Gedankenexperiment ab, weil es seiner Meinung nach nicht statthaft ist, an der Existenz eines so definierten Gottes zu zweifeln. Letztlich ging es Descartes bei diesem Gedankenexperiment darum, einen Gegenstand zu finden, der sicheres Philosophieren zulässt, ähnlich wie die Mathematik vor allem auch deswegen zu sicheren Erkenntnissen gelangt, weil ihre Gegenstände, Zahlen und räumliche Figuren, sichere Erkenntnisse gewähren. Nicht das Ich und sein beständiger Bewusstseinsstrom ist für Spinoza der gesuchte Gegenstand, sondern Gott selbst.
Wie sehr Spinoza dennoch in der Gedankenwelt Descartes‘ bleibt, sieht man daran, dass er die cartesischen Zweiteilung von denkendem Ich (res cogitans) und räumlich-materieller Außenwelt (res extensae) anerkennt. Allerdings meint er, dass weder das denkende Ich eine Substanz für sich ist, noch die Dinge der Außenwelt unabhängige Substanzen sind. Für ihn ist stattdessen Gott alleine die einzige Substanz, an der das denkende Ich und die Dinge nur Attribute sind. Beides, das Ich und die Dinge, sind an sich dieselbe eine Substanz, nämlich Gott selbst. Unabhängig von Gott können weder ein Ich noch die ausgedehnten Dinge der Außenwelt sein. Sie sind wie zwei Seiten derselben Medaille.
Andererseits behauptet Spinoza, dass das denkende Ich und die gesamte Außenwelt die einzigen Attribute Gottes sind. Gott zerfällt sozusagen in zwei parallele Welten, die Welt der geistigen Ichs und die Welt der materiellen Dinge. Im Ergebnis besteht nun bei Spinoza eine noch striktere Zweiteilung, denn beide Welten können keinerlei Einfluss aufeinander nehmen. Da beide Welten aber wie zwei Seiten ein und derselben Sache sind, müssen die ideellen Gesetzmäßigkeiten einerseits und die mechanistischen Gesetzmäßigkeiten der Außenwelt andererseits übereinstimmten. Somit geschieht alles, sowohl innerhalb des denkenden Ichs, als auch in der Außenwelt mit derselben Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit zu erkennen und sich ihr zu fügen, darin besteht für Spinoza die höchste Glückseligkeit.
Spinozas Philosophie bleibt komplett im Rahmen des logisch-rationalen Weltbildes. Er versucht mittels deduktiver Beweisführung zu unumstößlich gewissen Erkenntnissen zu gelangen. Und er setzt sich kühn über alle Empirie hinweg, denn keine seiner Thesen lassen sich durch Beobachtung bestätigen. Außerdem vertritt er offenbar das dualistische Weltbild, das Descartes ins Leben gerufen hat.
[1] Siehe Färber: Die Begründung der Wissenschaft aus reiner Vernunft – Descartes, Spinoza und Kant. Hier legt
Färber detailliert dar, wie viele Beweisführungen und Argumente Spinozas sich bereits bei Descartes finden lassen.
[2] Spinoza, Tractatus de intellectus emendatione (TIE), § 95.
[3] Spinoza, Ethik, I, Def. 1.

Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!