Leibniz: Grundlagen seiner Philosophie
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) war ein barocker Universalgelehrter. Er war Jurist, Historiker, Philosoph und Mathematiker. Außerdem war er als politischer Berater und Diplomat tätig.
Auf dem Gebiet der Mathematik leistete er vielfach Pionierarbeit. Beispielsweise erfand er zeitgleich mit Newton die Infinitesimalrechnung. Ferner erfand er unter anderem eine mechanische Rechenmaschine und ein Gerät zur Messung von Windstärken. Hier eine Auswahl seiner Werke:
- Metaphysische Abhandlung(Originaltitel: Discours de métaphysique). 1686.
- Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand(Originaltitel: Nouveaux Essais sur L’entendement humain). 1704.
- Die Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade(Originaltitel: Principes de la nature et de la Grâce fondés en raison). 1714.
- Monadologie(Originaltitel: La Monadologie). 1714 , erschienen 1720.
- Die Theodizee, veröffentlicht 1710.
Ohne Frage steht Leibniz unter dem Einfluss Descartes‘. Aber im Gegensatz zu ihm, und ähnlich wie Spinoza, lässt Leibniz seine Philosophie mit obersten Prinzipien oder Axiomen beginnen, die, wie er meint, unmittelbar einsichtig sind und deswegen nicht bewiesen werden müssen. Daraus soll dann alles Weitere logisch abgeleitet werden. Seine obersten Prinzipien, mit denen er die gesamte Wissenschaft begründen will sind:
- Das Prinzip des Widerspruchs: Falsch ist, was einen Widerspruch einschließt; und wahr ist alles, was dem Falschen kontradiktorisch entgegengesetzt ist. (§ 31. Monadologie)
- Der Satz vom zureichenden Grund: Keine Tatsache kann wahr oder existierend, keine Aussage kann richtig sein, ohne dass ein zureichender Grund vorliegt, weshalb es so und nicht anders ist, auch wenn diese Gründe uns meistens nicht bekannt sind. (§ 32. Monadologie)
Liest man die Schriften von Leibniz, so ist man erstaunt, wie selbstverständlich und ohne große Umschweife er von sogenannten „Monaden“ schreibt. Beispielsweise beginnt seine Monadologie mit dem Satz: „Die Monade, von der hier die Rede sein soll, ist nichts andres, als eine einfache Substanz […]“. Leibniz scheint keine Notwendigkeit darin gesehen zu haben, die Existenz von „Monaden“ beweisen zu müssen.
Meiner Meinung nach liegt das daran, weil eine Monade im Grunde eine res cogitans ist, also das was nach Descartes das Allergewisseste ist. Etwa 50 Jahre nach Descartes schreibt Leibniz[1]:
„‚Ich denke also bin ich,‘ dieser Satz gehört, wie Descartes trefflich bemerkt, zu den ersten Wahrheiten. […] Man kann ganz allgemein sagen, dass alle Wahrheiten in Tatsachen- und Vernunftwahrheiten einzuteilen sind. […] Primitive Tatsachenwahrheiten aber gibt es ebensoviele, wie es unmittelbare Perzeptionen [d.h. Wahrnehmungen] oder, um mich so auszudrücken, ‚Bewusstseine‘ gibt. Ich bin mir nicht nur meiner selbst als denkendes Subjekts, sondern auch meiner Gedanken bewusst und ebenso wahr und gewiss, als ich denke, wird auch dieses oder jenes von mir gedacht. Man kann somit die primitiven Tatsachenwahrheiten passend auf folgende zwei zurückführen: ‚ich denke‘ und ‚Mannigfaches wird von mir gedacht‘. Hieraus folgt nicht nur, dass ich existiere, sondern auch, dass ich auf mannigfaltige Art bestimmt bin.“
Wir erinnern uns: Descartes kannte zwei Arten von Substanzen, einmal das jeweilige denkende Ich, und dann die vielen materiellen Dinge. Leibniz hingegen kennt nur geistige Substanzen. Die materiellen Dinge können seiner Meinung nach keine eigenständigen Substanzen sein, sie sind nur Erscheinungen oder Phänomene für ein erkennendes Ich.
Eine Monade ist somit a) das Mannigfaltige der aufeinander folgenden Bewusstseinserlebnisse und b) als identischer Träger aller verschiedener Bewusstseinserlebnisse eine individuelle Substanz. Im Rahmen dieser Bewusstseinserlebnisse erscheint die materielle, objektive Welt, die nach Leibniz aber keine unabhängige Existenz besitzt. Leibniz drückt es so aus: Eine Monade hat keine Fenster.
Zunächst könnte man annehmen, dass Leibniz nur eine einzige solche Monade annimmt. Wenn eine Monade keine Fenster hat, wie sollte man dann von anderen Monaden wissen? Leibniz jedoch spricht von einer Überfülle verschiedener Monaden[2]:
„In der Natur ist alles erfüllt. Überall gibt es einfache Substanzen, die sich von einander tatsächlich durch ihnen eigentümliche, beständig ihre Beziehungen wechselnde Tätigkeiten unterscheiden. Jede einfache Substanz nun oder jede ausgezeichnete Monade, die den Mittelpunkt einer zusammengesetzten Substanz (wie z.B. eines Tieres) und das Prinzip ihrer ‚Einzigkeit‘ ausmacht, ist von einer Masse umgeben, die sich aus einer unendlichen Anzahl anderer Monaden zusammensetzt.“
Wenn Leibniz solche Zeilen schreibt, dann steht er dabei mit Sicherheit unter dem Eindruck der Erfindung des Mikroskops. Einer der ersten, der Mikroskope herstellte, war der Niederländer Leeuwenhoek. Damit entdeckte er unter anderem unzählige Mikroorganismen im Wasser, was damals eine Sensation war. So entstand die Auffassung, dass die Natur bis in ihre kleinsten Bereiche durchgängig belebt ist.
Bemerkenswerterweise hielt Leibniz nicht nur Menschen für Monaden, sondern jeden lebendigen Organismus. Also neben allen Menschen auch Gott, aber auch jedes Tier, sowie jeden Mikroorganismus und jede Pflanze. Jede Monade bildet eine organische, lebendige Einheit, die zwei Seiten hat. In der Außenansicht entspricht einer Monade ein lebendiger Körper. In der Innenansicht hat jede Monade eine Abfolge bestimmter Perzeptionen. Unter Perzeptionen versteht Leibniz alle Arten mehr oder weniger deutlicher Wahrnehmungen, die man beispielsweise auch in einem Schlummerzustand haben kann bis hin zu klaren Gedanken. Hans Poser schreibt[3]: „[Leibniz] verlängert [die res cogitans] über den Bereich des Bewussten nach ‚unten‘ in das Unbewusste […].“
So gibt es eine Hierarchie von Monaden, je nachdem welchen Grad der Erkenntnis die spezifischen Perzeptionen der Monaden zulassen. Die allerklarsten, deutlichsten und umfangreichsten Perzeptionen hat Gott, der auch das Unendliche überblicken kann. Der Mensch hat in der Regel weniger klare und verworrene Perzeptionen, und das Unendliche ist für ihn sowieso nicht begreifbar. Noch verworrener werden die Perzeptionen bei Tieren, bis sie bei Mikroorganismen oder Pflanzen den Zustand verworrenen Schlummerns haben.
Das obige Zitat von Leibniz wird so fortgesetzt:
„Da nun infolge der Erfüllung der Welt alles miteinander in Verknüpfung steht, und jeder Körper, je nach der Entfernung, mehr oder weniger auf jeden anderen einwirkt, so folgt daraus, dass jede Monade ein lebender, der inneren Tätigkeit fähiger Spiegel ist, der das Universum aus seinem Gesichtspunkt darstellt und der ebenso geregelt ist, wie dieses selbst.“
Leibniz behauptet also, dass alles mit allem zusammenhängt. Andererseits ist jede Monade eigentlich die cartesische res cogitans, auf die Descartes durch sein Zweifle-an-Allem-Gedankenexperiment gestoßen ist. Der Kern dieses Gedankenexperiments war, dass man alles, insbesondere die Existenz der Außenwelt anzweifeln kann, nicht aber die Tatsache seiner eigenen Bewusstseinserlebnisse. Obwohl niemand dieses Gedankenexperiment besonders lange durchhält, wird dieses Ergebnis dennoch sowohl bei Descartes als auch bei Leibniz generalisiert. Auf diese Weise wird behauptet, dass wir „eigentlich“ keinen Zugang zur Außenwelt haben. In den Worten von Leibniz: „Die Monade ist fensterlos“.
Wenn nun die Monaden „fensterlos“ sind, verschiedene Monaden aber miteinander in Beziehung stehen sollen, beispielsweise indem die eine Monade die andere wahrnimmt, dann kann das nur dadurch geschehen, dass jede Monade alle Beziehungen zu anderen Monaden bereits in sich trägt. So ist sie gewissermaßen ein Spiegel des gesamten Universums. Und zwar muss dies für alle Monaden gelten, für Menschen, Tiere, Mikroorganismen, Pflanzen: sie alle tragen die Informationen des gesamten Universums in sich. Der Unterschied liegt nur in der Art und Weise, wie klar und deutlich diese Unendlichkeit an Informationen in den jeweiligen Monaden vorliegt. Bei Gott in perfekter Deutlichkeit und Klarheit, bei Menschen um vieles trüber, noch dunkler und verworrener bei Tieren und anderen Lebewesen.
Die genannte Unendlichkeit der Informationen über das gesamte Universum fasst Leibniz nicht nur statisch auf, also darauf, wie das Universum jetzt im Augenblick gestaltet ist, sondern auch dynamisch, d.h. bezogen auf die zeitliche Entwicklung des Universums. Leibniz schreibt[4], „dass jede Substanz in gewisser Weise den Charakter der unendlichen Weisheit und Allmacht Gottes in sich birgt und ihn, soweit sie dessen fähig ist, nachahmt.“ Und er gibt als Beispiel Alexander den Großen, wenn er behauptet, „dass in der Seele Alexanders jederzeit Nachwirkungen von allem, was ihm zugestoßen ist, und ebenso Anzeichen von dem, was er noch erleben wird, vorhanden sind, ja sogar Spuren von allem, was im Universum vor sich geht, wenngleich es allein Gott zukommt, sie sämtlich zu erkennen.“
[1] Leibniz, Bemerkungen zu den cartesischen Prinzipien, zu Art. 7.
[2] Leibniz, Die Vernunftprinzipien der Natur u. der Gnade, § 3.
[3] Poser [47], S. 37.
[4] Leibniz: Metaphysische Abhandlung, §8, §9.

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