Sokratische Gesprächsführung: Elenktik und Maieutik
Als junger Mann schloss sich Platon Sokrates an, was ihn wohl nachhaltig prägte. Sokrates hat selbst nichts Schriftliches hinterlassen. Bis auf ein paar wenige Briefe sind alle Werke Platons als Dialoge verfasst, in denen er in der Regel Sokrates das Gespräch führen lässt.
In diesen Dialogen geht es häufig um solche Fragen wie „Was ist Gerechtigkeit?“, „Was ist Tapferkeit?“, „Was ist Wissen?“. Die Antwort auf eine Was-ist-Frage nennt Platon auf Griechisch einen Logos. Im Deutschen könnte man Logos als Erklärung oder Definition übersetzen.
Das Gespräch beginnt also damit, dass Sokrates seinen Gesprächspartner fragt: „Was ist X?“ Der Gesprächspartner antwortet dann mit einem Logos: „X ist …“ Nun beginnt Sokrates diesen Logos zu prüfen, indem er immer weitere Fragen stellt. Und zwar so lange, bis entweder
- sich der Gesprächspartner in Widersprüche verwickelt hat, oder
- sich der Logos als stichhaltig erwiesen hat.
Tritt der Fall 1.) ein, dann bekommt der Gesprächspartner eine zweite Chance. Er darf seinen Logos verbessern oder überhaupt mit einem neuen Logos antworten. Daraufhin wird dieser Logos geprüft, wobei die Prüfung wieder entweder Fall 1.) oder Fall 2.) endet. Findet der Gesprächspartner nach mehreren Versuchen keinen stichhaltigen Logos, dann wird er irgendwann ratlos und verwirrt sein und das Gespräch abbrechen. Der Dialog hat dann, wie am sagt, in einer Aporie geendet; und die Fragetechnik des Sokrates heißt dann Elenktik, auf Deutsch „Kunst des Widerlegens“. Ein Beispiel dafür findet man im Laches, wobei ich den Originaltext zusammenfassend wiedergebe.
Frage: Was ist Tapferkeit?
Erste Antwort (erster Logos): Tapfer ist jemand, der in Reih und Glied standhaltend die Feinde abwehrt und nicht flieht.
Widerlegung: Tapfer kann man auch fliehend bzw. beim Zurückweichen sein.
Zweite Antwort (zweiter Logos): Tapferkeit ist eine gewisse seelische Beharrlichkeit.
Widerlegung: Tapferkeit ist etwas Gutes. Ist man nun zwar beharrlich, aber ohne Verstand, kann das gefährlich sein und Schlechtes zur Folge haben. Also kann seelische Beharrlichkeit nicht die Tapferkeit sein.
Kein weiterer Antwortversuch. Also endet das Gespräch in einer Aporie.
Endet das Gespräch hingegen schließlich mit einem stichhaltigen Logos (Fall b), wurde also ein Logos gefunden, der das gesuchte X treffend erklärt bzw. definiert, dann heißt die Fragetechnik des Sokrates Maieutik, eine Art intellektueller Hebammenkunst[1]. Denn wie die Amme der Frau bei der Geburt ihres Kindes hilft, so hilft Sokrates seinem Gesprächspartner beim Finden der Wahrheit: einer Wahrheit, die schon vorher sozusagen in dem Gesprächspartner verborgen war und jetzt dank der sokratischen Fragetechnik ans Licht gekommen ist.
Ein Beispiel für die sokratischen Maieutik gibt Platon im Menon. Hier befragt Sokrates einen ungebildeten Sklavenjungen zu einem geometrischen Problem, das er dann tatsächlich eigenständig löst, alleine mit Hilfe geschickter Fragen des Sokrates.
Dieselbe Fragetechnik, die jedes Mal mit einer Was-ist-Frage beginnt, mit einer Antwort (Logos) weitergeht, die dann mittels weiterer Fragen überprüft wird, heißt einmal Elenktik, wenn das Gespräch ergebnislos in einer Aporie endet. Oder sie heißt Maieutik, wenn sich die gegebene Antwort (Logos) als stichhaltig erwiesen hat.
Der Hauptunterschied besteht darin, dass ein fehlerhafter Logos einen Widerspruch in sich trägt, der durch die Prüfung des Sokrates aufgedeckt wird. Ein stichhaltiger Logos hingegen genügt vor allem einem Kriterium: nämlich nicht widersprüchlich, sondern stimmig zu sein[2]. Nachfolgend werde ich zeigen, dass ein solcher Logos eine platonische Idee sozusagen zum Aufleuchten bringt. Ein in sich stimmiger Logos spiegelt eine Idee wider[3].
So oder so sieht man gut, wie wichtig bei Platon rational-logische Beweisführungen sind, so dass das Merkmal (Bw) bei ihm definitiv gegeben ist. Um dies noch abzurunden gebe ich nachfolgend ein paar Beispiele für platonische Beweisführungen.
[1] Theaitetos, 148e-151d und Menon ab 82b.
[2] Vgl. Sophistes, 235e6-236a2.
[3] Vgl. Sophistes, 218b7-c1
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