Skepsis und die Enthaltung vom Urteilen

Neben der Stoa und dem Epikureismus gibt es noch eine dritte wichtige hellenistische Philosophenschule, nämlich die Skepsis.

Die Grundposition des antiken Skeptizismus ist der grundsätzliche Zweifel an der Erkennbarkeit der Wirklichkeit. Als einer ihrer Vorläufer gilt Xenophanes (570-475 v.Chr.), der etwa in der Zeit des Parmenides lebte. Von ihm ist überliefert: „Klares und Genaues freilich nie ein Mensch erblickt, so wie es auch nie einen geben wird … bei allen Dingen gibt es nur Vermutung.“ Auch Sokrates (469-399 v.Chr.) mit seinem „ich weiß, dass ich nicht weiß“ kann als Vorläufer der Skeptiker zählen.

Erster Skeptiker im eigentlichen Sinne aber war Pyrrhon (360-270 v.Chr.), in etwa ein Zeitgenosse von Epikur und den Gründern der Stoa. Pyrrhon selbst war Einzelgänger und gründete keine Schule. Das machte erst Änesidem im 1. Jahrhundert vor Chr. Diese jüngere Skepsis wurde auch Pyrrhonismus genannt, obwohl Pyrrhon damals schon etwa 200 Jahre tot war.

Tatsächlich stimmen Pyrrhon und Änesidem in wesentlichen Punkten überein. Beide hielten es für unmöglich, dass wir zu sicherem Wissen gelangen könnten. Kein Mensch kann irgendetwas mit unzweifelhafter Gewissheit behaupten. Der echte Skeptiker behandelt jede Sache mit Zweifel. Alles kann sowohl logisch-rational bewiesen als auch logisch-rational widerlegt werden (Bw). Der Skeptiker kennt zu jedem Argument ein gleichwertiges Gegenargument. Behauptet beispielsweise Epikur, dass die Welt unbegrenzt ist, so kennt der Skeptiker einen Beweis für die Begrenztheit der Welt, und umgekehrt. Glaubt jemand zu wissen, dass alles im Kosmos mit Notwendigkeit geschieht, so kennt der Skeptiker einen Beweis für das Gegenteil, und umgekehrt.

Deswegen hält sich der Skeptiker selbst mit Urteilen zurück. Um sich nicht festzulegen, setzen Skeptiker allen ihren Aussagen konsequenterweise ein „es scheint, dass …“ voran. Anstelle von „Menschen sind sterblich“, sagt er: „Es scheint, dass alle Menschen sterblich sind.“ Anstelle von „ich sehe den Apfel“, sagt er: „Ich scheine den Apfel zu sehen.“ Etc.

Ähnlich wie bei den Epikureern und den Stoikern verfolgen die Skeptiker mit ihrer Urteilsenthaltung ein ethisches Ziel. Sie glauben, dass das Festhalten an Dogmen eine Hauptquelle dafür ist, dass Menschen sich Sorgen machen und sich innerlich beunruhigen. Dagegen halten sie es für ein geeignetes Mittel, seine innere Seelenruhe zu gewinnen, wenn man hinnimmt, dass die Wahrheit nicht erkennbar ist. Sich nicht festzulegen, halten sie für das Klügste, was man als Mensch machen kann, um glücklich zu werden.

Einen Aspekt am Skeptizismus halte ich für besonders interessant, und zwar, dass die Skeptiker nicht nur theoretisch-abstrakte Aussagen anzweifelten, sondern auch konkrete sinnliche Erfahrungen (antiEmp). So schreibt Aristokles[1]: „… Pyrrhon [erklärt] die Dinge für gleichermaßen indifferent, unermesslich und unbeurteilbar. Aus diesem Grund sagten uns weder unsere Sinneswahrnehmungen noch unsere Meinungen etwas Wahres oder Falsches. Daher sollten wir nicht das mindeste an Vertrauen in sie setzen.“

Und Photios schreibt[2]: „Ich habe die Pyrrhonische Abhandlung von Änesidem gelesen. Die Gesamtabsicht des Buches ist, … dass es für eine Erkenntnis keine sichere Grundlage gibt, weder durch Sinneswahrnehmung noch gar durch das Denken.“

Insgesamt sehe ich eine große Ähnlichkeit zwischen den Skeptikern und den Sophisten. Beide verneinten, dass man durch vernünftige Einsicht Wahrheiten erkennen kann. Und beide verneinten, dass es überhaupt unumstößlichen Gewissheiten geben kann. Selbst das, was man gerade sinnlich wahrnimmt, bietet keine Grundlage für sicheres Wissen. Die Skeptiker konnten zu jeder Behauptung einen logisch-rationalen Gegenbeweis liefern. Entsprechend glaubten die Sophisten, dass sie jede Position, sowie immer auch ihr Gegenteil rhetorisch überzeugend vertreten können. Beide beherrschten also das logisch-rationale Argumentieren.

Da sie aber beide auch der Sinneswahrnehmung keine Gewissheit zusprachen, akzeptierten sie offenbar logisch-rationales Argumentieren, um sie zu widerlegen. Insofern vertraten beide, Skepsis und Sophisten, die Merkmale (Bw) und (antiEmp). Allerdings glaubten sie wohl weder an unumstößliche Wahrheiten, noch an mentale Akte, die einen direkten Zugang zu Wahrheiten erlauben würden.

[1] Zitiert nach Long/Sedley [35], S. 15.

[2] Zitiert nach Long/Sedley [35], S. 559.

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