Mathematisierung der Natur in Platons Timaios?

Im Timaios behandelt Platon das Weltall und seine Entstehung.

Demnach stand ein guter göttlicher Weltenschöpfer einer vollkommen ungeordneten Urmaterie gegenüber, die im Grunde dem geometrischen Raum entspricht. Da dieser Gott sah, dass dieses Chaos nicht gut ist, beschloss er Ordnung in das Ganze zu bringen.

So schuf er die Grundbausteine der Welt nach dem Vorbild ewiger mathematischer Formen. Auf diese Weise entstand ein kugelförmiges Weltall, in dem die Elementarteilchen Feuer, Erde, Luft Wasser perfekte geometrische Körper, nämlich regelmäßige Polyeder, sind die außerdem den Zahlenverhältnissen a³, a²b, ab², b³ entsprechen. Physikalische Eigenschaften korrespondieren somit geometrischen und numerischen Relationen, und die Welt verändert sich gemäß mathematischen Gesetzen.

Platons Timaios scheint in gewisser Weise auf Galileo Galileo zu verweisen, der sagen wird, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist. Selbst Werner Heisenberg hat Platons Naturphilosophie gewürdigt[1], denn die moderne Physik sieht ähnlich wie Platon die kleinsten Teilchen weniger als Materie, sondern eher als symmetrische mathematische Strukturen.

Und dennoch besteht ein fundamentaler Unterschied zur modernen Naturwissenschaft. Denn im Grunde genommen ist Platons Welterklärung im Timaios nur eine schöne mathematisch-theoretische Konstruktion, die rein gar nichts mit der empirischen Realität zu tun hat. Ja, auch die Quantenphysik ist eine äußerst abstrakte mathematische Theorie, aber es gibt Experimente und Erfahrungstatsachen, die ihr einen Realitätsbezug verschaffen.

Ich bin der Meinung, dass bei Platons mathematische Kosmogonie einen ganz anderen Charakter hat als die Mathematisierung der Natur, wie sie der Entstehung der neuzeitlichen Physik zugrunde liegt. Platon sah zwar, dass ein konkretes Ding einer idealen Struktur ähnlich war, er betonte aber die Verschiedenheit. Die erfahrbare Wirklichkeit galt ihm für sich genommen als unerkennbar und nicht wirklich existent, und insofern im Grunde genommen als etwas völlig anderes als die ideale Realität mathematischer Gegenstände, die im höchsten Maße erkennbar sind und die höchste Form des Seins haben.

Erst in der Neuzeit wird die Betonung von der Verschiedenheit auf die Ähnlichkeit verlegt. Auch jetzt wird noch gesehen, dass ein konkretes Ding nicht die mathematische Struktur selbst ist: Es ist aber fast mathematisch, eine Approximation des Mathematischen bzw. trotz der (zu vernachlässigenden) Unterschiede eben doch identisch mit der ideal-mathematischen Struktur. Eine solche Fast-Identifikation gibt es bei Platon nicht, das Ideale wird als grundlegend verschieden von dem empirisch Erfahrbaren aufgefasst.

Insofern folge ich auch dem Wissenschaftshistoriker Dijksterhuis, wenn er schreibt[2]:

„So sehen wir [Platon] in seinem einzigen naturwissenschaftlichen Dialog, dem Timaios, auf Grund von abstrakt-mathematischen Betrachtungen eine Tonleiter in Form eines Systems von Zahlenverhältnissen konstruieren, das in den für unser Ohr wahrnehmbaren Intervallen nur ein getrübtes Schattenbild, eine mangelhafte Nachahmung findet, und dessen innere Harmonie also auch nicht gehört, sondern nur gedacht werden kann. Und an die Astronomen stellt er die methodische Forderung, die als platonisches Axiom durch zwanzig Jahrhunderte hindurch theoretische Sternkunde beherrschen sollte: in der wirren Unregelmäßigkeit der Planetenbewegungen das ideale mathematische System gleichförmiger Kreisbewegungen zu finden, welches den wahren Ablauf der Prozesse an einem mathematischen Himmel wiedergibt, um so die empirischen Erscheinungen der Planetenbewegungen vor dem Urteil der Unwirklichkeit zu retten, das durch ihre scheinbare Unregelmäßigkeit hervorgerufen wird; was die Augen uns davon sehen lassen, möge Schein sein, das Denken aber kann das Sein erforschen, das diesem Schein zugrunde leigt.“

[1] Heisenberg [30], S. 19-22.

[2] Dijksteruis [10], S. 16.

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