Die geometrisch-quantitative Auffassung der Natur

Dass Galilei nicht der erste Naturphilosoph war, der mathematische Methoden zur Naturerkenntnis anwendete, steht außer Frage.

Die mathematische Naturwissenschaft ist nicht vom Himmel gefallen, auch hat sie kein einzelnes großes Genie erfunden. Nun spricht Galilei von einer „neuen Wissenschaft“, für die – im Gegensatz zur alten, scholastisch-aristotelischen Naturphilosophie – die Geometrie ein wichtiges Mittel sein soll. In diesem Beitrag wende ich mich der Frage zu: Haben Galilei und andere frühneuzeitlichen Naturphilosophen die Mathematik in der Naturwissenschaft so verwendet, wie es auch ein heutiger Physiker tun würde? Nämlich als Sprache für die Beschreibung von Beobachtungen und Experimenten?

Zunächst könnte es scheinen, dass diese Fragen mit Ja zu beantworten sind. Keplers Astronomie beschreibt die Planetenbahnen im Sonnensystem. Galileis Fallgesetze beschreiben das Naturphänomen des freien Falls. Und ja, mit Newtons Physik kann man beides, die Planetenbahnen und den freien Fall, beschreiben. Andererseits: Mathematische Beschreibungen von Naturphänomenen sind nach heutigem Wissenschaftsverständnis nicht eindeutig. Vielmehr geht auf Pierre Duhem die Vorstellung zurück, dass immer unendlich viele mathematische Modelle denkbar sind, die die Phänomene im Rahmen bestimmter Messgenauigkeiten gleichgut beschreiben. Welche Beschreibung aber diejenige ist, die, um mit Kant zu sprechen, mit den Dingen an sich übereinstimmt, ist nicht zu sagen.

Sieht man sich an, was Galilei, Newton und andere zeitgenössische Naturwissenschaftler geschrieben haben, dann geht klar hervor, dass sie ihre mathematischen Theorien für eindeutig und notwendig wahr hielten. Sie wollten die Natur theoretisch so erfassen, wie sie ihrem Wesen nach und an sich ist. Sie glaubten die Dinge an sich geometrisch-quantitativ erkennen zu können.

Mathematik als Mittel, um die Empirie zu überschreiten

Noch deutlicher wird dies, wenn man sieht, wie Galilei, Newton und andere immer wieder, und oft unmerklich, die Mathematik dazu verwenden, um etwas zu beweisen, was empirisch nicht überprüfbar ist. Beispielsweise „beweist“ Galilei, dass eine reales Stück Holz aus unendlich vielen Atomen besteht, mit rein geometrischen Argumenten. So schreibt Dijksterhuis[1]:

„[Galilei lässt] sich keine Gelegenheit entgehen, seiner metaphysischen Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass den mathematischen Formen unseres Denkens eine mathematische Ordnung entspricht, welche der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit zugrunde liegt […].“

Kopernikus und Kepler betrieben ihre Forschungen, weil sie von dem religiös-mystischen Gedanken motiviert waren, den geometrischen Schöpfungsplan Gottes zu entschlüsseln. Newton, um ein weiteres Beispiel zu nennen, spricht von einer „absoluten Zeit“ und einem „absoluten Raum“, beides ohne Zweifel keine empirischen, sondern metaphysische Begriffe. Carl Neumann wird  1869 zeigen, wieviel nicht-empirische Metaphysik in Newtons Trägheitsprinzip liegt. Und der im 17. Jahrhundert zum allgemeinen wissenschaftlichen Standard werdende Atomismus reduziert alle Qualitäten, alles Werden und Entstehen der materiellen Welt alleine auf quantitativ-geometrische Eigenschaften kleinster Teilchen, sowie deren Ortsbewegungen, –  eine Theorie, die nur das Mathematische gelten lässt, und sicher nicht durch die menschliche Empirie überprüfbar ist.

Wenn man dies berücksichtigt, kann man nicht davon sprechen, dass es Galilei, Newton etc. nur um eine mathematische, gewissermaßen äußerliche Beschreibung der Naturphänomene ging, die immer gut mit der Empirie im Einklang zu sein hat, aber nicht den Anspruch hat, die Dinge an sich zu treffen. Nein, das wäre ein modernes Konzept anachronistisch in die Vergangenheit projiziert. Die wissenschaftliche Revolution der frühen Neuzeit versteht man, wenn man sieht, dass sich vielmehr eine neue Auffassung von Natur herausgebildet hat, eine neue Sichtweise, was die materielle Wirklichkeit ihrem Wesen nach ist: und zwar, dass der innerste Wesenskern der Natur geometrisch-quantitativ ist.  So schreibt der Wissenschaftshistoriker Floris Cohen mit Bezug auf Kepler und Galilei[2]:

„Was die Tiefe angeht, kann man praktisch von einer neuen Erkenntnisstruktur sprechen. […] Ein heute gebräuchlicher Ausdruck für diese Form der Naturerkenntnis ist ‚Mathematisierung der Natur‘. Das Wesentliche dabei ist, dass Mathematik und Wirklichkeit in unmittelbare Beziehung zueinander gesetzt werden.“

Diese Mathematisierung der Natur hatte einerseits eine empirische Komponente, indem man eben die Welt zu vermessen begann und die Naturphänomene in ein mathematisches Korsett zwang. Sie hatte aber auch eine die Empirie überschreitende, metaphysische Komponente, indem man sich Aussagen und Theorien über die Wirklichkeit erlaubte, die nicht durch Erfahrungstatsachen untermauert waren, sondern nur mittels geometrisch-mathematischer Argumente einsichtig sind. Diese beiden Komponenten lassen sich in der mathematischen Naturwissenschaft bis ins 19. Jahrhundert nachweisen. Und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet die metaphysische Komponente in Misskredit. Bis dahin war vielen Wissenschaftlern gar nicht bewusst, wann sie sich an das rein Beobachtbare hielten, und wann sie, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, die Empirie überschritten und metaphysische Annahmen machten.

Man muss ja bedenken, dass die Wissenschaft in der Renaissance noch durch die aristotelische Naturphilosophie dominiert wurde. Und demnach galt die Mathematik als ungeeignet für die Naturerkenntnis. Dass man jetzt dennoch begann, die Dinge und Naturphänomene auszumessen und quantitativ zu beschreiben, setzte, wie ich meine, auch eine neue Naturauffassung voraus: Dass die Natur nämlich ihrem Wesenskern nach – entgegen der Behauptung des Aristoteles – doch geometrisch-quantitativ ist. Und selbstverständlich handelt es sich hier um eine Form von Metaphysik. Erst viel, viel später, nachdem erstens die aristotelische Naturphilosophie längst überwunden war und zweitens man sich an die Mathematik in der Naturwissenschaft gewöhnt hatte, konnten man diese metaphysische Untermauerung fallen lassen.

Das eigentlich Neue ist die geometrisch-quantitative Auffassung der Natur

Ich denke, dass die neue, geometrisch-quantitative Auffassung der Wirklichkeit, der eigentliche Kern der frühneuzeitlichen wissenschaftlichen Revolution ist. Sie ist der große innovative Schritt von der aristotelisch-scholastischen Naturphilosophie zur neuzeitlichen Naturwissenschaft. Unberührt blieb nämlich, dass man das Ziel der Wissenschaft darin sah, zu unumstößlichen, notwendigen Wahrheiten zu gelangen; dass man eine Wissenschaft auf Axiome gründen wollte, deren Wahrheit vernunfteinsichtig und evident sind; dass jedes Theorem aus diesen Axiomen beweisbar sein sollte. Wie ich weiter unten noch ausführen werde, blieb die Vorstellung davon, wie Wissenschaft zu sein hatte, weitgehend im Rahmen dessen, was Aristoteles in der Zweiten Analytik ausgeführt hatte. Das heißt: Galileis „neue Wissenschaft“ ist im Kern mit der alten aristotelischen Wissenschaft identisch, nur dass jetzt das Mathematische anders gewertet wird. Was bei Aristoteles die begrifflich-rationale Einsicht in das Wesen der Dinge ist, wird bei Galilei eine geometrisch-quantitative Einsicht. Was bei Aristoteles ein logisch-rationaler Beweis ist, ist bei Galilei ein geometrischer Beweis. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass für Galilei jetzt die Natur ihrem Wesen nach geometrisch-quantitativ ist, was Aristoteles strikt ablehnte.

Aristoteles betrachtete nämlich die mathematisch-quantitativen Eigenschaften als bloß äußerliche Abstraktionen, die den Dingen nicht wesensmäßig sein können. Ein Stein mag beispielsweise die Gestalt einer Kugel haben. Genauso gibt es aber auch Kugeln aus Holz oder aus Lehm. Auf die Frage: „Was ist es?“, ist die Antwort „eine Kugel“ offenbar unpassend. Denn damit wird nicht gesagt, was das Ding wirklich ist. Zutreffender sind Antworten, die das jeweilige Wesen des Dinges angeben, also z.B. „es ist ein Stein, und ein Stein ist ein Material mit den und den charakteristischen Eigenschaften“. Welche geometrische Gestalt ein Stein hat, ist ihm offenbar unwesentlich. Auch andere quantitative Bestimmungen wie Größe oder Breite scheinen für die Sache selbst unwesentlich zu sein. Ein Mensch beispielsweise bleibt ein Mensch, egal ob er 160 cm oder 180 cm groß ist. Eine Wesenserkenntnis im aristotelischen Sinne hat man stattdessen, wenn man einsieht, dass der Mensch ein vernünftiges Lebewesen ist.

Das Wesen der Dinge als ihren Bauplan und ihre Funktionsweise

Um den Unterschied zwischen der alten aristotelischen und der neuen geometrisch-quantitativen Naturauffassung deutlich zu machen, denke ich, sind Werkzeuge und Maschinen gute Beispiele. Nach Aristoteles besteht ihr Wesen darin, einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Eine Mühle ist dann eine Mühle, wenn sie dafür geeignet ist, Getreide zu Mehl zu verarbeiten. Das ist, wenn man so will, eine aristokratische Weise, eine Maschine zu verstehen. Man sieht auf das Ergebnis, wie genau man aber dorthin gekommen ist, interessiert nicht. Das ist die Angelegenheit der Sklaven oder des niederen Standes.

Aus der Sicht desjenigen, der die Mühle bauen, bedienen, warten oder reparieren will, ist eine Definition über den Zweck viel zu unbestimmt und nicht hilfreich. Was ist für einen Ingenieur oder einen Praktiker das Wesen einer Mühle? Ihr quantitativ-geometrischer Bauplan, sowie die dadurch bestimmte Funktionsweise. Um sie zu bauen, braucht man einen Bauplan und Kenntnisse über die Funktionsweise, aber auch um an ihr Arbeiten auszuführen. In der Renaissance entwickelte man gewissermaßen einen demokratischen Zugang zur Technik. Eine aristotelische Definition war dann aber zu wenig, man musste konkreter werden: Eine Mühle ist dann eine Mühle, wenn sie nach einem bestimmten geometrischen Bauplan konstruiert worden ist und auf bestimmte Weise funktioniert. Somit ist das Wesen der Mühle ihr Bauplan, sowie ihre Funktionsweise.

Auf ähnliche Weise war aber auch die aristotelische Definition von Naturdingen zu vage. „Der Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen“. Das mag sein, aber diese Aussage ist für jemanden, der mit oder an dem menschlichen Körper arbeitet zu wenig, beispielsweise für einen Arzt, einen Anatom oder auch einen Künstler. Auch hier ist ein „Bauplan“ des menschlichen Körpers, dessen quantitative Proportionen und seine Funktionsweise, hilfreicher als eine abstrakte, aristotelische Definition. So schreibt Dijksterhuis[3]:

„Damals musste ein völlig neuer Standpunkt der Natur gegenüber erobert werden: das substantielle Denken, das nach dem Wesen der Dinge fragte, musste gegen das funktionelle ausgetauscht werden, welches das Benehmen der Dinge in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit feststellen will; die Behandlung der Naturerscheinungen in Worten musste zugunsten einer mathematischen Formulierung der darin wahrgenommenen Relationen aufgegeben werden.“

Mit einem offensichtlich aristokratischen Duktus lässt Galilei den aristotelischen Simplicio sagen[4]:

 „Simpl.: Die Philosophen beschäftigen sich wesentlich mit dem Universellen; sie ermitteln die Definitionen und die allgemeinsten Kriterien, im einzelnen aber überlassen sie die nötigen Kunstgriffe und Nebendinge […] den Mathematikern. Aristoteles hat sich begnügt, vortrefflich zu definieren, was im allgemeinen Bewegung ist, […] dass es eine natürliche und ein gewaltsame, […] eine gleichmäßige und eine beschleunigte Bewegung gibt. Bei der beschleunigten hat er sich begnügt, den Grund der Beschleunigung nachzuweisen, überlässt hingegen die Erforschung des Verhältnisses gedachter Beschleunigung und anderer Einzelfragen dem Mechaniker oder sonst einem untergeordneten Techniker.“

Auch Leibniz kritisiert die aristotelische Naturphilosophie, die sich z.B. bei einer Uhr damit begnügen würde, ihr Wesen als das Anzeigen von Stunden zu definieren, ohne die Funktionsweise der Uhr zu berücksichtigen. Das könne nur der Eigentümer der Uhr so tun, nicht aber derjenige, der sie warten oder reparieren muss[5].

Es ist ein naheliegender Schritt, die Idee, dass das Wesen eines Werkzeugs, einer Maschine oder eines lebenden Körpers in seinem geometrisch-quantitativen Bauplan und seiner Funktionsweise besteht, auf die Natur insgesamt zu übertragen. Bezogen auf das obige Beispiel mit der Kugel aus Stein, wäre jetzt die Antwort auf die Was-ist-es-Frage: „eine kugelförmige Zusammensetzung von Atomen, die aufgrund ihrer geometrisch-quantitativen Eigenschaften Stein-Atome sind“. So wird der Gedanke, dass das Wesen eines Dinges in seinem Bauplan und seiner Funktionsweise besteht, verallgemeinert. Damit begeht man aber einen metaphysischen Grenzübergang. Denn der Konstruktionsplan einer Maschine liegt ja tatsächlich vor, der Bauplan eines beliebigen Naturdings jedoch normalerweise nicht. Auf diese Weise ist die Mathematisierung der Natur eng mit dem sog. mechanistischen Weltbild verknüpft.

In jedem Fall ist es nicht verwunderlich, dass die Mechanik zur Schlüsselwissenschaft der neuen mathematischen Naturauffassung wurde. Das Wort „Mechanik“ leitet sich ja von dem griechischen Wort „mechané“ ab, das „Maschine“ bedeutet. Insofern denke ich, passt es gut, wenn Galilei sein berühmtes Werk Discorsi als Gespräch dreier Männer im Arsenal von Venedig stattfinden lässt. Die ersten Sätze aus diesem Werk lauten:

„Salv.: Ein weites Feld zum Philosophieren bietet forschenden Geistern der häufige Besuch Ihres berühmten Arsenals, meine Herren Venezianer, und zwar besonders jener Betriebsteile, in denen es um Mechanik geht; dies deshalb, weil dort jede Art von Werkzeugen und Maschinen von einer Anzahl großer Könner in ständiger Aktion betrieben wird, unter denen […] man sicherlich einige findet, die wirklich Bescheid wissen und die genauesten Erläuterungen geben können.“

Galilei hält also einen Ort, bei dem Maschinen bedient werden, für geeignet, um über Naturphilosophie zu diskutieren[6]. Ein größerer Gegensatz zu Platon, Aristoteles oder überhaupt zur antiken Philosophie ist kaum vorstellbar.

Aristoteles meinte, dass das Wesen eines Dinges in dem Ding wirksam ist. Hier unterschied er sich von Platon, der die Ideen von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen trennte und in einen Ideenhimmel verlegte. Die mathematisierte Naturauffassung der frühen Neuzeit folgte in diesem Punkt Aristoteles. Ein Ding ist, was es ist, weil der geometrisch-quantitative Bauplan, der es definiert, in dem Ding verwirklicht ist. Dem entspricht auch unsere landläufige heutige Vorstellung von einem Naturgesetz, das einerseits mathematisch formulierbar ist, andererseits (irgendwie) in der Natur wirksam ist.

Mechanistisches Weltbild

Wird das Wesen der Dinge als ihr quantitativ-geometrischer Bauplan, sowie die dadurch bestimmte Funktionsweise, verstanden, so ist es, wie gesagt, naheliegend, Naturdinge als Maschinen aufzufassen.

Die meisten Maschinen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren nur erweiterte Werkzeuge des Menschen, z.B. Kräne, Katapulte oder Mühlen. Dabei wurde die mechanische Konstruktion offensichtlich „von außen“ bedient. Naturdinge werden aber nicht von außen gesteuert, sondern etwas ist in ihnen selbst wirksam. Deswegen glaubte ja Aristoteles, dass lebende Körper nicht nur materiell sein konnten, sondern dass eine Seele hinzukommen muss, damit sie leben. Pflanzen, Tiere, Menschen aber auch Gestirne müssten demnach beseelt sein.

Will man aber das Wesen eines Naturdings auf seinen quantitativ-geometrischen Bauplan und seine Funktionsweise beschränken, dann ist kein Platz mehr für eine Seele. Daher fügte es sich gut, dass man auch automatische Maschinen kannte, die von alleine zu funktionieren schienen. Bereits in der Antike gab es Automaten, die als Spielerei und zur Belustigung der Menschen gebaut wurden. Das Musterbeispiel eines automatisch ablaufenden Mechanismus ist natürlich die Uhr, die gerade in der Renaissance immer mehr zum Einsatz kam. Daran konnte man glaubhaft machen, dass es eigenständig ablaufenden Bewegungen auch ohne Seele geben kann.

Viele Zitate, in denen Naturdinge mit einer Uhr verglichen werden, wenden sich gleichzeitig dagegen, dass sie beseelt sind. So schreibt Kepler in einem Brief von 1605[7]:

„Mein Ziel ist es zu zeigen, dass die himmlische Maschine nicht eine Art göttliches Lebewesen ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk […]“.

Damit wendet sich Kepler offenbar gegen die aristotelische Vorstellung von beseelt Gestirnen. Und Descartes sagt[8]:

„Ja, ebenso wie eine […] Uhr, so steht es auch mit dem menschlichen Körper, wenn ich ihn als eine Art Maschine betrachte, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut […] eingerichtet und zusammengesetzt ist […].“

Später wird Kant in der Kritik der Urteilskraft das mechanistische Weltbild einer teleologisch-organischen Naturauffassung entgegenstellen.

Ich denke allerdings, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem mechanistischen Forschungsprogramm und einer zu Ende gedachten mechanistischen Philosophie. Eine mechanistische Philosophie ist eine Metaphysik mit sehr weitreichenden Konsequenzen. Hält man generell jedes Ding für eine unbeseelte Maschine und die Natur insgesamt für einem gewaltigen, automatisch ablaufenden und seelenlosen Mechanismus, dann wird alles in der materiellen Welt durch Ursache und Wirkung determiniert. Ein bestimmter Zustand der Natur folgt aus einem vorangegangenen Zustand nach eisernen mathematischen Gesetzen, so wie aus 1+1 die Zahl 2 folgt.

Bei Naturwissenschaftlern wie Galilei, Huygens oder Newton hingegen findet man nicht eine so umfassende Philosophie einer komplett deterministischen, materiellen Welt. Bestimmte Naturphänomene werden jeweils für sich untersucht, und zwar unter der Annahme, dass sie im Wesentlichen mathematisch erfassbar sind und ohne die Annahme einer nicht weiter erklärbaren Seele. Eine Generalisierung dieses Ansatzes auf die gesamte materielle Welt wird, meines Erachtens, hier nicht vorgenommen.

Später, nachdem die newtonsche Mechanik im Laufe des 18. Jahrhunderts noch weiter perfektioniert wurde und auch andere empirische Wissenschaften Fortschritte erzielten, wurde das mechanistische Forschungsprogramm zu einer mechanistischen Weltauffassung erweitert, die gerade unter den Naturwissenschaftlern weit verbreitet war. Demnach war es das explizite Ziel, jede Naturwissenschaft, egal ob die Chemie, die Biologie oder die Psychologie, letztlich auf die bekannten mechanischen Prinzipien zurückzuführen. Sicherlich hatte diese Auffassung einen metaphysischen Aspekt, es war aber sicherlich auch eine Art Forschungsprogramm. Es galt schließlich als gescheitert, als man gegen Ende des 19. Jahrhunderts erkannte, dass man die elektromagnetischen Feldgleichungen von Maxwell nicht mechanistisch erklären konnte.

Toleranz gegenüber Ungenauigkeit und Approximation

Noch einmal sei an die aristotelische Wesensontologie erinnert. Nach Aristoteles ist ein konkreter Mensch ein Mensch, weil sein Wesen das Menschsein ist. Alles, was nicht mit diesem Wesen des Menschseins zu tun hat, z.B. seine Hautfarbe, sein Geschlecht, seine Größe, ist für den konkreten Menschen akzidentell, d.h. unwesentlich, zufällig oder beiläufig. Übertragen wir diese Denkweise auf die mathematische Naturauffassung. Eine Mühle ist eine Mühle, weil sie einen bestimmten quantitativ-geometrischen Bauplan verwirklicht. Ihr Wesen ist dieser Bauplan und alles, was man an ihr wahrnehmen kann und nichts mit diesem Bauplan zu tun hat, gilt als akzidentell oder unwesentlich. Anders formuliert: Bei der mathematischen Naturauffassung wird das konkrete Ding mit seiner quantitativ-geometrischen Struktur identifiziert. Und alles, was dieser Identifikation zuwiderläuft, wird als belanglose Abweichung, unwesentliche Ungenauigkeit oder Messfehler gewertet.

So führt die Annahme, dass das immanente Wesen der Natur mathematisch ist, auch zu einer größeren Toleranz gegenüber Ungenauigkeiten. Denn: Eine Maschine bleibt auch dann funktionsfähig, wenn sie – bis zu einem bestimmten Grad – von ihrem Bauplan abweicht. Und der menschliche Organismus bleibt ein Mensch, auch wenn er nicht voll funktionsfähig ist oder er den menschlichen Proportionen nicht vollkommen entspricht. Natürlich alles bis zu einem gewissen Grad. Die entsprechende Vorstellung ist, dass das mathematische Wesen in der Natur nicht vollkommen realisiert sein muss. Die Wirklichkeit ist nicht perfekt, sie entspricht nicht 100%ig dem genauen mathematischen Ideal. Mathematisierung der Natur bedeutet, dass diese Unvollkommenheit der Wirklichkeit als unwesentlich oder als belanglos verstanden wird. Dies führt zu einer Akzeptanz gegenüber der Annäherung, der Approximation, sowie gegenüber Messfehlern. In diesem Sinne schreibt Anneliese Maier[9]:

„Ein Rechnen mit ungefähren Maßen, d.h. mit Näherungswerten, mit Fehlergrenzen und vernachlässigbaren Größen, wie es der späteren Physik selbstverständlich wurde, wäre den scholastischen Philosophen als ein schwerer Verstoß gegen die Würde der Wissenschaft erschienen. So sind sie an der Schwelle einer eigentlichen, messenden Physik stehengeblieben, ohne sie zu überschreiten, – letzten Endes, weil sie sich nicht zu dem Verzicht auf Exaktheit entschließen konnten, der alleine eine exakte Naturwissenschaft möglich macht.“

Diese neue mathematische Naturauffassung führt also erstens zu einer Identifikation des konkreten Realen mit idealen, geometrischen Strukturen, und zweitens zu einer Akzeptanz des Ungenauen. Bei Galilei ist eine reale, physische Kugel eigentlich eine ideale geometrische Kugel, weswegen er behaupten kann, dass sie eine Ebene, auf der sie liegt, nur genau in einen Punkt berührt. Und falls das doch nicht so sein sollte, dann ist das eine belanglose, unwesentliche Abweichung. Schwere Dinge sollten eigentlich nach dem Fallgesetz fallen; und wenn sie es in der Realität nicht tun, dann liegt das am unwesentlichen Luftwiderstand. Wenn eine reale Kugel, die auf einer spiegelglatten und vollkommen ebenen Fläche rollt, trotz des Trägheitsprinzips doch irgendwann zum Stehen kommt oder eine leichte Kurve macht, dann müssen dafür unwesentliche Störfaktoren verantwortlich sein; eigentlich müsste sie ohne ihre Geschwindigkeit zu verändern immer geradeaus weiterrollen.

Realitätsbezug der Mathematik

In der aristotelischen Wissenschaft ist Wesenserkenntnis eine Einsicht in eine notwendige Wahrheit. Etwas ist notwendig wahr, wenn eine Alternative nicht denkbar ist. Und weil etwas anderes undenkbar ist, muss es auch so sein. Auf diese Weise gibt es einen Bezug vom Denken zum Sein, von der Theorie zur Wirklichkeit.  Sagt jemand, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten notwendig die gerade Strecke ist, dann will er damit sagen, dass es undenkbar ist, dass eine andere als die gerade Strecke kürzer ist, und deswegen muss es auch in der Realität so sein. Sagt jemand, dass ein Mensch notwendig ein vernünftiges Lebewesen ist, dann will er damit sagen, dass es undenkbar ist, dass jemand ein Mensch ist, aber nicht vernünftig oder kein Lebewesen. Also muss es auch in der Realität so sein. Ist hingegen eine Alternative denkbar, dann kann sich die Wirklichkeit so verhalten, möglicherweise aber auch nicht.

Eine Voraussetzung für die Mathematisierung der Natur ist, dass es keine innermathematischen Alternativen gab. Es gab nur eine Geometrie und nur eine Arithmetik. Heutzutage kennt man nicht-euklidische Geometrien, bei denen z.B. die Winkelsummen nicht gleich 180° sind. Solche Geometrien galten in der frühen Neuzeit jedoch als undenkbar, die euklidische Geometrie als die einzige denkbare und somit als notwendig gültig. Somit musste auch sich auch die Wirklichkeit so verhalten, wie es die euklidische Geometrie fordert. Der tatsächliche Raum der materiellen Welt konnte nicht anders als euklidisch sein. Ebenso war eine Alternative zur Arithmetik nicht denkbar, somit galt sie als notwendig, und somit mussten sich die realen Dinge so verhalten, wie es der Arithmetik entspricht.

Diese Alternativlosigkeit der Geometrie, sowie der Arithmetik war eine wichtige Voraussetzung dafür, ohne Weiteres und selbstverständlich davon auszugehen, dass die Mathematik einen Realitätsbezug hat. Die wirkliche Welt musste sich so verhalten, wie es die Mathematik sagt, weil etwas anderes als nicht denkbar galt. Wir werden sehen, dass sich diese Selbstverständlichkeit auflöste in dem Moment, als klar wurde, dass auch andere Arten der Mathematik denkbar sind.

Schönheit als Wahrheitskriterium

Die Mathematisierung der Natur nimmt eine Entsprechung der mathematischen Struktur der Welt und des menschlichen Erkenntnisvermögens an. Dem Menschen ist es demnach prinzipiell möglich, einen Blick in den Wesenskern der Natur zu werfen. Dieser Wesenskern muss nur, damit er uns Menschen einsichtig ist, bestimmte Kriterien erfüllen: Er muss evident sein. Und das heißt, dass wir, sobald wir ihn intellektuell begreifen, mit dem Gefühl verbunden sein muss, dass alles so stimmig, klar und schön ist, dass es schlicht nicht anders sein kann. Die erkannte mathematische Struktur muss „schön“ sein, um den Anspruch haben zu können, wahr zu sein.

Nicht-Mathematikern mag das merkwürdig klingen. Wie kann Mathematik mehr oder weniger „schön“ sein? Aber tatsächlich ist die Ästhetik eine sehr wichtige Antriebskraft in der Mathematik. Ein Beweis muss nicht nur richtig sein, er muss auch „schön“ oder „elegant“ sein. Nicht selten wenden Mathematiker viel Zeit und Mühe auf, um einen bestehenden und als richtig anerkannten Beweis so zu verbessern, dass er „schöner“ wird. Das „mathematisch Schöne“ ist schwer zu definieren, Popper beispielsweise bezweifelt, dass es das überhaupt gibt. Denn von einem übergeordneten logischen Standpunkt sind alle mathematischen Theorien gleichwertig.

Und dennoch. Wenn man sich die ptolemäische Astronomie ansieht, dann ist sie voller seltsamer Hilfskonstruktion: Epizyklen, Exzentrik und Ausgleichsbewegungen. Eine innere Notwendigkeit oder Harmonie ist nicht zu erkennen, ganz zu schweigen von ihrer überbordenden Komplexität. Keplers Astronomie hingegen ist ein einfacher, harmonischer Wurf, bei dem alles in sich stimmig und einfach ist.

Nehmen wir das Trägheitsprinzip als weiteres Beispiel. Eine perfekte Kugel auf einer unbegrenzten, perfekt glatten Ebene einmal angestoßen, läuft auf einer geraden Linie bis ins Unendliche weiter. Dieses Prinzip ist empirisch nicht überprüfbar. Weil es eben keine unbegrenzte Ebene in der Realität gibt. Warum aber nimmt man hier eine schnurstracks gerade Laufbahn der Kugel an? Warum nimmt man nicht an, dass die Kugel, z.B. eine ganz leichte, fast unmerkliche Kurve nach links macht? Oder dass sie die ersten 500 Billiarden km in die eine Richtung rollt, dann im rechten Winkel scharf abbiegt, und dann wieder bis in alle Ewigkeit weiterläuft? Mit dem, was Galilei oder Newton an Erfahrungsdaten zur verfügen stand, hätten die genannten Varianten des Trägheitsprinzips genauso gepasst. Warum aber zögerten sie keine Sekunde, die Kugel immer geradeaus weiterlaufen zu lassen? Die Antwort ist: Weil es so einfacher und weniger komplex, irgendwie schöner ist, und damit unserem Bedürfnis nach mathematischer Ästhetik besser entspricht.

Platoniker oder Pythagoreer?

Manche frühneuzeitlichen mathematischen Naturwissenschaftler verstanden sich selbst als Platoniker. Damit wollten sie sich von Aristoteles abgrenzen, dem gemäß die Mathematik für die Naturerkenntnis ungeeignet ist. Platon hingegen galt als großer Freund der Mathematik. Auch Archimedes war ja Platoniker, und Galilei und andere sahen ihn als ihren Wegbereiter. Dabei war ihnen aber egal, dass Platon die Mathematik nicht als der Natur immanent ansah, sondern sie von der empirischen Wirklichkeit trennte. Die Naturdinge sind den perfekten Ideen bestenfalls ähnlich, Platon betonte aber ihre wesensmäßige Verschiedenheit.  Ein antiker Philosoph, der vielleicht am besten zu der neuen mathematischen Naturphilosophie passte, war Pythagoras. Von ihm ist zwar sehr wenig überliefert, aber es hat den Anschein, als hätte auch er in der materiellen Welt Zahlen und quantitative Verhältnisse für wirksam gehalten.

Mathematisierung der Natur und Empirie

Die geometrisch-quantitative Naturauffassung war eine wichtige Voraussetzung für die naturwissenschaftliche Revolution der Neuzeit. Sie hatte, wie gesagt, eine metaphysische Komponente und ging bisweilen deutlich über die Empirie hinaus. Sie war aber natürlich auch die Grundlage dafür, dass man die Naturphänomene, so wie sie beobachtbar und messbar sind, mathematisch zu beschreiben begann. Dabei muss man allerdings bedenken, dass es in der frühen Neuzeit noch sehr wenige und oftmals recht ungenaue Messinstrumente gab. Das beste Messinstrument war noch der Zollstock, um kleinere Strecken zu messen.

Um die Fallgesetze und Würfe zu studieren, hätte Galilei eigentlich Apparate zur Messung von Geschwindigkeiten und Beschleunigungen gebraucht. Das war damals aber absolute Zukunftsmusik. Nicht einmal geeignete Zeitmesser hatte er. So behalf er sich mit folgender Konstruktion. Wasser wurde in einen großen Behälter gefüllt, der unten eine verschließbare Öffnung hatte. Die „Stoppuhr“ wird gestartet, indem man den Verschluss öffnet und das abfließende Wasser in einem anderen Behälter auffängt. Schließlich wird die Öffnung wieder geschlossen und die Menge des abgeflossenen Wassers ist das Zeitmaß.

Galilei versuchte auch, ein Thermometer zu erfinden, die zunächst alle sehr ungenau waren, weil sie zu sehr von dem aktuellen Luftdruck abhängig waren. Ein solcher Zusammenhang von Ausdehnung und Luftdruck war lange nicht bekannt. Die ersten einigermaßen brauchbaren Thermometer, die Quecksilber verwendeten, baute Daniel Fahrenheit erst ab 1714.

Was man aber bereits an diesen beiden Beispielen, Galileis Wasseruhr und dem Thermometer, sehen kann ist: Jedes physikalische Messverfahren ist immer auch schon Theorie behaftet[10]. Denn damit Galileis Stoppuhr überhaupt als brauchbares Messinstrument gelten kann, müssen folgende theoretische Annahmen gemacht werden: 1. Die Wasser-Stoppuhr funktioniert jederzeit gleichermaßen; sie läuft z.B. nachmittags nicht schneller als abends. 2. Der Zeitabstand zwischen zwei sich folgenden Tropfen ist immer gleich; also gleich, egal ob sie erst eine Minute läuft oder bereits zehn Minuten. 3. Bei jedem Tropfen kommt immer dasselbe Quantum Wasser in das Sammelgefäß; also nicht einmal mehr einmal weniger. Und solange man kein theoretisches Verständnis des Zusammenhangs von Luftdruck, Ausdehnung und Temperatur hatte, war es schwierig ein geeignetes Thermometer zu konstruieren.

In jedem Fall ist es nicht möglich, die Naturphänomene quantitativ, d.h. durch Messungen, zu beschreiben, durch direkte, unmittelbare Wahrnehmung. Man braucht Messinstrumente und eine Theorie, die das Arbeiten damit als zuverlässig absichert. Das ist aber eine Art von Empirie, die Aristoteliker nicht akzeptierten. Für Aristoteles zählte nur das, was man direkt wahrnehmen konnte, der unmittelbare Ausgenschein. Die Sterne sollte man mit dem bloßen Auge beobachten, ohne das Hilfsmittel des Fernrohrs, zumal wenn man sich über die theoretischen Voraussetzungen für dessen Nutzung nicht im Klaren ist. Beim freien Fall eines schweren Gegenstandes sollte man einfach unbefangen zusehen. Ebenso bei der Frage, ob sich die Sonne um die Erde dreht oder umgekehrt: Was sieht man denn, wenn man sein theoretisches Schulwissen ausblendet, tatsächlich?

Wissenschaftshistorisch ist es ein großer Schritt, nicht nur die offensichtlichen Erfahrungstatsachen gelten zu lassen, sondern die Empirie mithilfe von Messinstrumenten zu erweitern. Offenbar war dies eine Folge der Mathematisierung der Natur. Denn um die Welt quantitativ zu erfassen, braucht man, wie gesagt, Messgeräte. Uhren übersetzen Zeitdauern in Stunden und Sekunden; Thermometer übersetzen die Qualität der Wärme in °C; Waagen die Qualität der Schwere in kg. Ohne diesen Schritt wäre es mit Sicherheit nicht zu der heutigen, modernen Naturwissenschaft gekommen. Offenbar änderten die Wissenschaftler in der Renaissance beträchtlich ihre Seh- und Erlebnisgewohnheiten: Der Wesenskern der materiellen Welt wurde als quantitativ-geometrisch aufgefasst. Die Welt wurde ausgemessen, mathematisch beschrieben und man versuchte mit mathematischen Methoden  metaphysische Aussagen zu belegen. All dies bereitete die moderne Naturwissenschaft vor.

[1] Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes, IV 128, S. 403.

[2] Floris: Die Zweite Erschaffung der Welt, S. 115.

[3] Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 557.

[4] Galilei: Dialog über die Weltsysteme, S. 172.

[5] Leibniz: Metaphysische Abhandlung, S. 25.

[6] Vgl. De Padova: Das Weltgeheimnis, S. 186: „Hier [im Arsenal] nimmt Galilei in Angriff, was Leonardo am selben Ort aufgrund seiner fehlenden theoretischen Ausbildung nicht gelingen konnte: Er führt die Wirkungen der Technik auf mathematische Gesetze zurück.“

[7] Zitiert nach Gloy: Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens (1995), S. 167, Brief an Herwart von Hohenburg, 10.02.1605.

[8] Zitiert nach Gloy: Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens, S. 168, aus: Meditationes de prima philosophia.

[9] A. Meier: Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Naturphilosophie, 1955, S. 402.

[10] Wie Pierre Duhem in seinem Hauptwerk Ziel und Struktur der physikalischen Theorien (1905) beschrieben hat.

2 Kommentare
  1. Thinking sagte:

    Am spannendsten finde ich die “aristokratische” Einstellung von Aristoteles, dass der Bau einer Mühle die Angelegenheit der Sklaven oder des niederen Standes sei. Dann müssen die Römer (die griechischen Bauwerke sind ja leider meist durch Erdbeben zerstört worden) mathematische Genies gehabt haben, da noch Gebäude und Brücken bis heute erhalten sind.

    Antworten
    • peterreins sagte:

      Es stimmt sicherlich, dass die Römer geniale Bauwerke errichtet haben. Ich glaube aber nicht, dass sie dafür geniale Mathematiker gehabt haben mussten. Die Baumeister der Antike, denke ich, kamen sehr weit mit Hilfe des Prinzips Versuch und Irrtum. Nicht zu unterschätzen ist auch etwas, das man ein Gefühl für die Physik der Dinge nennen könnte. Beispielsweise schaffen es die meisten Menschen ein bestimmtes Ziel mit einem Stein zu treffen, indem sie irgendwie gefühlsmäßig die Flugbahn abschätzen. Und dazu muss man kein Mathematiker sein, der sich mit Parabeln auskennt. Auch wenn man Bauwerke errichtet, kann man mit einem Gefühl dafür, was wohl stabil sein wird, was nicht, recht weit kommen. Kinder jedenfalls lernen das spielerisch mit Bauklötzen, auch ohne eine komplizierte Mathematik anzuwenden. Und selbstverständlich gibt es hier Menschen, die dafür begabter sind als andere. Übrigens vertritt Ernst Mach einen Standpunkt, der in diese Richtung weist, nämlich dass wir Menschen im Laufe der Evolution eine Art Instinkt für die Naturgesetze entwickelt haben, lange bevor wir sie durch abstrakte Formeln ausdrücken. Mach begründet damit, dass uns bestimmte allgemeinen Gesetze vernunftmäßig als intuitiv wahr und notwendig erscheinen. Mach will damit sowohl die Mathematik als auch die Naturwissenschaft biologisch-evolutionär begründen. Ob das wirklich ein korrekter Ansatz ist, bezweifle ich. Aber Mach trifft sicherlich genau das, was ich oben ein „Gefühl für die Physik der Dinge“ genannt habe.
      Man kann sich tatsächlich fragen, warum sich nicht bereits bei den Griechen und Römern eine mathematisch-empirische Naturwissenschaft herausgebildet hat. Ohne Frage waren Archimedes und andere Mathematiker aus Alexandria schon sehr nahe dran. Man darf aber eines nicht vergessen. Wenn Archimedes mit anscheinend praktisch anwendbaren mathematischen Theorien beschäftigt hat, z.B. den Hebelgesetzen oder dem Auftrieb, dann interessierte ihn die Praxis nicht die Bohne, sondern war daran als ein rein mathematisches Problem interessiert. Außerdem war es für ihn belanglos, ob sich seine Theorien empirisch bestätigen lassen oder nicht. Ferner versteckte er diese Theorien regelrecht, so als würde er sich dafür schämen, über etwas dem Anschein nach Praktisches nachzudenken. Sowohl die antiken Mathematik und auch die antiken Philosophen waren sich zu fein, um sich mit praktisch Anwendbaren zu beschäftigen. Wer das machte, war galt nicht als wirklicher Wissenschaftler, sondern eher als Handwerker. Der erstere war hoch angesehen und suchte ein aboslut unerschütterliches, beweisbares Wissen. Der Handwerker konnte zwar auch einiges, aber sein Wissen war bloß empirisch, beruhte nicht auf intellektuell einsichtigen oberste Prinzipien, wurde eben durch Versuch und Irrtum gewonnen und war entsprechen unsicher.
      Ich denke schon, dass hier ein Unterschied zur Renaissance besteht. Man war sich nicht mehr zu fein, sein theoretisches Wissen praktisch nutzbar zu machen. Villalpando beispielsweise war ein spanischer Baumeister, der sich auf theoretisch-mathematische Weise mit der Statik beschäftigte, um die so gewonnenen Erkenntnisse direkt für seine Baukunst anzuwenden. Wissenschaft und Ingenieurskunst näherten sich in der Renaissance an. Und mit einem Mal war sich auch die Naturphilosophie nicht mehr zu fein, praktisch nutzbar zu werden. Aristoteles und andere antike Naturphilosophen versuchten eloquent die Welt zu erklären, aber ihre Theorien konnte man für keine einziges praktisches Problem (eine Maschine oder ein Bauwerk) verwenden. Damit vergleiche man die Naturphilosophie Newtons (und Newton verstand sich als Naturphilosoph): was kann man damit alles konkret praktisch bzw. ingenieurwissenschaftlich alles bewältigen! Ich denke, das ist ein gewaltiger Unterschied. Und das ist ja auch einer der Gründe, warum die moderne Naturwissenschaft so erfolgreich war und wohl auch ein Grundpfeiler der Industrialisierung ist. Die aristotelische Naturphilosophie jedenfalls hätte niemals eine Basis für die Industrialisierung sein können.
      Ein römischer Baumeister mag wohl geniale Gebäude errichtet haben, aber sicherlich nicht dank der damals vorherrschenden Naturphilosophie. Möglicherweise verwendete er geometrische Überlegungen eines Archimedes. Der hätte sich für eine solche Anwendung regelrecht geniert. Und wie gesagt, es ist nicht zu unterschätzen, wie weit man ohne Theorie alleine durch Versuch und Irrtum kommt.

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