Das aristotelische Modell einer apodiktischen Wissenschaft

In der Zweite Analytik stellt Aristoteles seine Wissen­schafts­theorie dar. Er entwirft darin ein Wissenschaftsmodell, das die Philosophiegeschichte über viele Jahrhunderte hinweg bis ins 19. Jahrhundert bestimmt. Selbst die Physik Galileis oder Newtons werden sich an dieses Modell anlehnen.

In dem vorigen Beitrag habe ich bereits versucht zu zeigen, dass sich Aristoteles mit seinem Wissenschaftsmodell stark an der Mathematik orientiert.

Zusammenfassende Darstellung des aristotelischen Wissenschaftsmodells

Bevor ich in die Details gehe, möchte ich vorweg das aristotelische Modell einer apodiktischen Wissenschaft prägnant zusammenfassen:

(A1) Das Ziel der Wissenschaft ist es, zu unumstößlichen Wahrheiten zu gelangen (Abs).

(A2) Eine Wissenschaft hat Grundprinzipien oder Axiome.

a. „Wesenserkenntnis“: Diese Prinzipien (Axiome) offenbaren das allgemeine „Wesen“ oder die „Ursachen“ des jeweiligen Wissensgegenstands.

b. Die Axiome sind Sätze, die für unsere Vernunft einsichtig und evident. (mtAkt)

c. Die Axiome sind wegen b.) notwendig wahr

(A3) Induktion (Epagoge) ist die Methode, um zu den obersten Grundsätzen (Axiomen) zu gelangen; dabei beginnt man mit einzelnen Beispielen und erkennt an ihnen mittels Vernunfteinsicht das allgemeine Wesentliche (mtAkt).

(A4) Rational-logische Beweise: Alle gültigen Sätze der apodiktischen Wissenschaft kann man aus den Grundprinzipien (Axiomen) logisch-rational erschließen (Bw).

(A5) Eine Falsifikation der so gewonnenen Theorie durch Erfahrungstatsachen ist nicht vorgesehen. Sofern die Induktion korrekt durchgeführt wurde und man mittels vernünftiger Einsicht zu einer Wesenserkenntnis gekommen ist und alles Weitere logisch-stringent hergeleitet wurde, ist die Theorie absolut wahr und braucht durch weitere Erfahrungstatsachen weder bestätigt, noch widerlegt werden. (antiEmp)

Soweit die Zusammenfassung des aristotelische Wissenschaftsmodells. Nachfolgend bespreche ich die einzelnen Punkte ausführlich.

Ausführliche Darstellung des aristotelischen Wissenschaftsmodells

(A 1) Apodiktische Wissenschaft bezieht sich auf unumstößliche Wahrheiten = (Abs)

Im vierten Kapitel der Zweiten Analytik sagt Aristoteles, dass man dann von etwas wirkliches Wissen hat, wenn es sich unmöglich anders verhalten kann. Nachfolgend gibt er folgende Beispiele für ein solches Wissen:

  1. dass jeder Mensch ein sinnliches Wesen ist;
  2. dass in jeder Linie ein Punkt ist;
  3. dass in jedem Dreieck eine Linie ist;
  4. dass Zahlen gerade oder ungerade sind.

Wie bereits oben erwähnt, ist es bemerkenswert, dass seine Beispiele vor allem aus der Mathematik kommen.

Im sechsten Kapitel unterstreicht Aristoteles, dass wirkliches Wissen nicht nur wahrscheinlich sein kann, sondern unumstößlich wahr sein muss. Seiner Auffassung nach ist die Wahrheit einer Aussage nicht schon alleine dadurch gegeben, dass sie logisch hergeleitet wird. Möglicherweise sind die Prämissen, aus denen hergeleitet wurde, selbst nur wahrscheinlich. Als Beispiel für solches Scheinwissen nennt Aristoteles die Sophisten. Eine Aussage ist erst dann unumstößlich wahr, wenn sie aus wahren Prinzipien bewiesen wird.

Schließlich sagt Aristoteles im 33. Kapitel: „Das Objekt der Wissenschaft und diese selbst ist verschieden von dem Objekt der Meinung und dieser selbst, sofern die Wissenschaft allgemein und notwendig ist und auf Notwendigem beruht. Notwendig aber ist, was sich nicht anders verhalten kann.“

(A 2) Grundprinzipien (Axiome), Vernunfteinsicht und Wesen

Heutzutage pflegt man strikt zwischen Definitionen und Axiomen zu unterscheiden. Ich halte es für wichtig zu sehen, dass Aristoteles hingegen zu den Prinzipien einer Wissenschaft offenbar auch Definitionen zählt, sofern sie sich auf das Wesen der zu definierenden Sache beziehen.

Im zweiten Kapitel sagt Aristoteles: „Wir glauben aber etwas zu wissen […], wenn wir sowohl die Ursache, durch die es ist, als solche zu erkennen glauben, wie auch die Einsicht uns zuschreiben, dass es sich unmöglich anders verhalten kann.“ Somit scheint für Aristoteles das Erkennen der Ursache, was dasselbe ist wie Wesenserkenntnis, mit vernünftiger Einsicht einherzugehen.

Aristoteles fährt fort (71b19), dass eine apodiktische Wissenschaft a) Beweise führen muss, die b) letztlich auf der Grundlage von „ersten Prämissen“ geführt werden müssen, die unvermittelt sind, bekannter und früher als das Gefolgerte.

Im Zweiten Kapitel geht es weiter: „Aus ersten und ohne Beweis einleuchtenden Sätzen aber muss [der Schluss] erfolgen, weil man dasjenige, wofür man keinen Beweis hat, nicht wissen kann […] Aber auch Ursachen müssen seine Vordersätze sein […]: Ursachen, weil wir dann wissen, wenn wir die Ursache einsehen […] nicht nur in der anderen Weise, indem man versteht, was sie bedeuten, sondern auch, sofern man einsieht, dass sie sind und gelten. [meine Hervorhebungen]“. Und als Beispiel führt Aristoteles den mathematischen Schluss an, dass die Diagonale mit der Seite eines Quadrats inkommensurabel ist.

Im zehnten Kapitel heißt es:

„Es ist ein Prinzip keine Voraussetzung (hypothesis) und kein Postulat, wenn es durch sich selbst notwendig wahr ist und notwendig als wahr erscheint. Denn einen Beweis für ein solches Prinzip gibt es nicht im Sinne eines äußeren Grundes, sondern nur im Sinne eines Grundes in der Seele [meine Hervorhebung].“

Die Wahrheit der Wissenschaft ist somit letztlich in einem seelisch-mentalen Akt begründet, den Aristoteles Nous, auf Deutsch Vernunft oder Geist, nennt[1]:

„Unter Nous nämlich verstehe ich das Prinzip der Wissenschaft.“

„[…] da aber nur der Nous wahrer sein kann als die Wissenschaft, so müssen die Prinzipien dem Nous anheimfallen […] so muss der Nous das Prinzip der Wissenschaft sein.“

In der Nikomachischen Ethik unterteilt Aristoteles die menschliche Seele zunächst a) in ein vernunftloses Strebevermögen, wonach wir beispielsweise Hunger empfinden, und b) in einen vernünftigen Seelenteil. Letzteren unterteilt er wiederum a) in die praktische Vernunft, die für das Handeln in konkreten Situationen zur Anwendung kommt, und b) die theoretische Vernunft. Nach Aristoteles ist das wesentliche Unterscheidungskriterium zwischen diesen beiden Arten der Vernunft, dass mit der theoretischen Vernunft der Mensch die Wesen betrachtet, „deren Ursprünge nicht so oder anders sein können“, während er mit der praktischen Vernunft sich auf das bezieht, was sich so oder auch anders verhalten kann[2].

(A 3) Induktion (Epagoge)  

Nach Aristoteles sind die Prinzipien einer Wissenschaft selbst nicht beweisbar, vielmehr sind sie der Vernunft unmittelbar als wahr einsichtig. Manchmal muss der Vernunfteinsicht aber doch nachgeholfen werden, entweder wenn man selbst noch auf der Suche nach dem richtigen Prinzip ist, oder weil man es anderen veranschaulichen will. In beiden Fällen hilft es, konkrete Beispiele zu verwenden. Dieses Evidentmachen von Grundsätzen oder Wesensdefinitionen anhand konkreter Beispiele nennt Aristoteles Induktion, oder auf Griechisch Epagoge. Die Induktion, die dabei hilft, selbst ein Prinzip zu finden könnte man heuristische Induktion nennen; hilft sie dabei, anderen ein Prinzip evident zu machen, könnte man sie didaktische Induktion nennen.

Das Problem ist, dass das Wort Induktion seit der Neuzeit philosophisch enorm aufgeladen ist. Bacon hatte ganz besondere Anforderungen an eine systematisch ausgeführte Induktion, die mit Gewissheit zu allgemeinen Aussagen führen würde. Hume zweifelte, ob das Schließen von Einzelfällen auf ein allgemeines Prinzip überhaupt statthaft ist. Und bis in die heutige Wissenschaftstheorie ist die Methode der Induktion strittig.

Bei Aristoteles aber ist mit Induktion mit Sicherheit etwas ganz unbefangen Alltägliches gemeint. In jedem Intelligenztest gibt es solche Aufgabe wie:

„Finde zu der Zahlenreihe 3, 9, 27 die nächste Zahl bzw. die allgemeine Formel!“

In diesem Falle ist die Antwort: 81 bzw. . So gut wie immer, wenn man auf der Suche nach einem allgemeinen Zusammenhang ist, ist es das natürlichste von der Welt, dass man sich ein paar konkrete Beispiele auswählt, um an ihnen das allgemeine Prinzip zu erkennen.

Oder wenn man anderen etwas klar machen will, dann bringt man neben dem allgemeinen Prinzip meistens auch ein paar Beispiele, um das Prinzip zu verdeutlichen. So würde ich das physikalische Trägheitsprinzip veranschaulichen, indem ich auf Kugeln hinweise, die einmal auf glattem Boden angestoßen, einfach weiterrollen, oder eine Bremssituation im Auto.

Offenbar finden wir ständig allgemeine Prinzipien anhand von Beispielen oder machen sie anderen anhand von Beispielen klar; und zwar vollkommen unabhängig davon ob eine tiefschürfende wissenschaftstheoretische Analyse dies für zulässig hält oder nicht. Es ist einfach die allgemein übliche Praxis zur Erkenntnisgewinnung bzw. Erkenntnisvermittlung. Und genau dies ist die aristotelische Induktion.

Wie ich oben bereits gesagt habe, sind für Aristoteles nicht nur Grundsätze Prinzipien, sondern auch Wesensdefinitionen. Dementsprechend kann man die Methode der Induktion auch anwenden, entweder um eine geeignete Definition zu finden oder um die Sinnhaftigkeit einer Definition anderen evident zu machen. Auch das ist bis heute gängige, allgemeine Praxis.

Nachfolgend einige Zitate zum Thema Induktion[3]:

„Unser Lernen kommt entweder durch Induktion oder durch Beweis zustande.“

„Es ist unmöglich, durch [sinnliche] Wahrnehmung etwas Apodiktisches zu wissen […]. Denn die Wahrnehmung ging uns nicht auf das Allgemeine. Wohl aber würden wir, wenn wir es oft geschehen sähen, das Allgemeine entdecken und so einen Beweis gewinnen; denn wenn das Einzelne sich oft wiederholt, wird das Allgemeine daraus offenbar. Der Wert des Allgemeinen liegt aber darin, dass es die Ursache offenbart.“

Dass der einzelne sinnlich wahrnehmbare Gegenstand nichts Notwendiges, exemplifiziert Aristoteles anschließend (wieder einmal) anhand eines mathematischen Beispiels. Nehmen wir an, man hat ein konkretes Dreieck vor sich hingezeichnet. Man kann bei diesem einzelnen, konkreten Dreieck die Winkel messen und als Summe 180° ausrechnen. Diese einzelne Messung ist aber noch kein apodiktisches Wissen. Ein solches Wissen kommt erst zustande, wenn man von diesem konkret gezeichneten, einzelnen Dreieck als Beispiel abstrahiert und – mittels des Nous – erkennt, dass für die Winkelsumme jedes Dreiecks alle 180° beträgt. Denn[4]:

„Die Wissenschaft aber besteht in der Erkenntnis des Allgemeinen.“.

„Von den Prinzipien aber wollen wir jetzt hören, wie man sie erkennt […]. Wenn eine der individuellen Erscheinungen, die sich nach der Art nicht mehr unterscheiden, zum Stehen gekommen ist, so ist ein erstes Allgemeines in der Seele erreicht – denn man nimmt das Einzelne wahr, aber die Wahrnehmung geht auf ein allgemeines Objekt; sie geht z.B. auf den Menschen [im Allgemeinen], nicht auf den Menschen Kallias – dann kommt es wieder bei diesen zum Stehen, bis sich das Unteilbare und Allgemeine einstellt […] Man sieht also, dass wir die ersten Prinzipien durch Induktion kennen lernen müssen.“

Die Wahrnehmung vieler einzelner, konkreter Dinge kann für sich niemals zu einer allgemeinen Wesenserkenntnis führen; dazu bedarf es vielmehr der Leistung der Vernunft (Nous). Nach Aristoteles haben wir eine besondere geistige Fähigkeit, die es uns erlaubt, auf der Grundlage mehrerer Einzeldinge ins gemeinsame Wesen dieser Dinge blicken zu können. Diese geistige Wesensschau begründet die durch Epagoge erlangten allgemeinen Wesensaussagen.

Als Beispiel dafür gibt Aristoteles das Wissen, dass jeder Mensch ein Lebewesen ist. Man muss sich vorstellen, dass man einen Menschen kennengelernt hat und feststellen konnte, dass er ein Lebewesen ist, dann einen weiteren, der auch ein Lebewesen ist, usw. Schließlich kommt die Vernunft (Nous) zu der direkten Wesensschau und erkennt unmittelbar und zwingend, dass jeder Mensch ein Lebewesen ist. Somit ist Merkmal (mtAkt) bei Aristoteles gegeben.

(A 4) Deduktiver Abstieg = (Bw)

Sind erst einmal die allgemeinen Wesensaussagen mittels Induktion und Vernunft erkannt worden, dann kann man aus ihnen rational-logisch bestimmte andere Aussagen herleiten. Und zwar mit apodiktischer Notwendigkeit, so als würde man mathematische Sachverhalte beweisen. Das ist die aristotelische Vorstellung von Wissenschaft.

(A 5) Anti-Empirismus: Theorie vor Empirie, Allgemeines vor Einzelnem =(antiEmp)

Aristoteles ist ziemlich konkret, wie er sich eine wahre Wissenschaft vorstellt. Indem man einzelne, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände beobachtet, entdeckt man allgemeine Prinzipien (Induktion), deren unumstößliche Wahrheit durch Vernunfteinsicht (Nous) evident ist. Alles, was aus diesen Prinzipien logisch bewiesen werden kann, muss ebenfalls unumstößlich wahr sein. Das ist der Kern des aristotelischen Wissenschaftsmodells. Und für jeden, der das moderne hypothetisch-deduktive Wissenschaftsmodell kennt, fällt auf, dass Aristoteles keine Bestätigung oder Falsifikation seiner Wissenschaft durch Erfahrungstatsachen vorsieht.

Offenbar steht Aristoteles auf dem Standpunkt: Wenn man anhand konkreter Beispiele mittels Induktion ein Prinzip als wirklich evident erkannt hat, dann ist dieses Prinzip und alles, was daraus logisch folgt, notwendig wahr. Und wenn Induktion und Deduktion korrekt waren, dann ist ein weiterer Abgleich mit Erfahrungstatsachen nicht weiter nötig. Die Theorie ist wahr, weil die Wahrheit ihrer Prinzipien für die Vernunft evident und alle logischen Schlussfolgerungen daraus korrekt sind. Diese Position ist für sich genommen anti-empiristisch in dem Sinne, dass das theoretisch Erdachte über die Empirie gestellt wird.

Der aristotelische Anti-Empirismus zeigt sich aber noch an anderen Punkten. So sagt Aristoteles an verschiedenen Stellen, dass es von dem konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Individuum für sich genommen kein wirkliches Wissen geben kann[5]:

„Aber auch durch sinnliche Wahrnehmung kann man nicht wissen. Denn wenn die Wahrnehmung auch auf eine bestimmte Qualität und nicht auf eine bestimmte Substanz geht, so nimmt man doch notwendig ein einzelnes Ding wahr, das hier und jetzt ist. Aber das Allgemeine […] lässt sich nicht wahrnehmen. Denn es ist kein Dieses […] Da nun die Beweise allgemein sind un man das Allgemeine nicht wahrnehmen kann, so kann man durch Wahrnehmung auch offenbar nicht wissen.“

Auch bezogen auf die Mathematik unterscheidet Aristoteles die konkrete, in den Sand gemalte geometrische Figur von dem allgemeinen Konzept, um das es bei der Mathematik eigentlich geht[6]. Wenn man also z.B. einen Kreis zeichnet, dann wird nichts über diesen speziellen Kreis bewiesen, sondern über den idealen Kreis schlechthin. Aristoteles schreibt, dass es bezogen auf die konkreten, einzelnen Kreise kein wahres Wissen geben könne, das gebe es nur bezogen auf den idealen Kreis im Allgemeinen.

Es ist nur auf der Hand liegend, dass sich das dargestellte Wissenschaftsmodell in den aristotelischen Schriften nachweisen lässt. Aristoteles stellt Grundsätze auf, begründet sie durch Induktion, und er leitet Theoreme daraus ab. Ich werde nachfolgend ein paar Beispiele dafür geben, zunächst aus der Ontologie, wie sie Aristoteles in der Metaphysik wiedergibt, danach aus seiner Physik.

Axiomatisierung der Wissenschaft

Das beschriebene Schema war über tausende von Jahren bestimmend für wissenschaftliches Denken. Man beginnt mit obersten Prinzipien oder Axiomen und leitet daraus alles Weitere deduktiv ab. Dieses Vorgehen der Axiomatisierung und Deduktion findet man in Euklids Elementen, aber auch bei Galilei und Newton, ferner bei Descartes, Spinoza, Leibniz, aber auch in Kants Versuch einer metaphysischen Grundlegung der Physik.

Selbst die moderne Mathematik ist axiomatisch, aber auch die moderne Physik. Und doch besteht ein Unterschied. Mindestens bis Kant wurden Axiomensysteme aufgestellt mit dem Anspruch, damit absolut gewisse Wahrheiten zu haben, die zwar unbeweisbar sind, aber von der Vernunft als unumschränkt einsichtig erkannt werden. In der modernen Mathematik wie in der modernen Physik haben Axiome nur den Status von Hypothesen. Sie können mit der Wirklichkeit übereinstimmen, müssen aber nicht.

So kann die moderne Mathematik hypothetisch von fünf-dimensionalen oder nicht-euklidischen Räumen ausgehen und darüber Theoreme beweisen. Ebenso glaubt kein heutiger Physiker, dass man mit den mathematisch-physikalischen Anfangsprinzipien eine „Wesensschau“ sozusagen ins Herz der Natur erreichen könnte. Vielmehr handelt es sich um Hypothesen, aus denen sich Aussagen ableiten lassen, die gut mit den Erfahrungstatsachen übereinstimmen. Falls sie das nicht tun, dann muss man entweder den Gültigkeitsbereich dieser Hypothesen einschränken oder sich neue überlegen. Dieser Wandel von Axiomen, die als unbewiesene, gewisse Wahrheiten zu gelten haben, zu Axiomen mit bloß hypothetischem Charakter hat im Laufe des 19. Jahrhunderts stattgefunden.

[1] Siehe Zweite Analytik I 23, I 33, sowie II 19 (110b).

[2] Nikomachische Ethik, VI 2, 1139 a.

[3] Zweite Analytik I 18, 81a38, sowie I 31.

[4] Zweite Analytik 87b38, sowie II 19.

[5] Zweite Analytik, 87b28 f, siehe auch I 8, 75b 24-25.

[6] Zweite Analytik, II, 71b1-6, 76b40 f.

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