Aristoteles’ Kategorienlehre

In den sophistischen Widerlegungen beschreibt Aristoteles, wie es häufig zu Fehlschlüssen kommt:

„Man kann beim Disputieren nicht die Dinge selbst hernehmen, sondern gebraucht statt ihrer, als ihre Zeichen, die Worte. Daher glaubt man dann, was für die Worte gilt, müsse auch für die Dinge gelten, wie wenn man rechnete und es mit Rechensteinen zu tun hätte. Aber hier fehlt die Gleichheit. Die Worte […] sind der Zahl nach begrenzt, die Zahl der Dinge aber ist unbegrenzt. Darum muss derselbe Begriff und ein und dasselbe Wort gleichzeitig eine Vielheit von Dingen bezeichnen. […] so machen bei den Begründungen die der Wortbedeutungen Unkundigen Fehlschlüsse […]“

Nach Aristoteles besteht eine häufige Fehlerquelle beim rational-logischen Argumentieren darin, dass Wörter verschiedene Bedeutungen haben können (Homonymie). Im vierten Kapitel gibt Aristoteles ein Beispiel dafür. Das Wort für „lernen“ im Sinne von Wissen erwerben, bedeutet im Griechischen auch etwas verstehen. So stellt Platon in seinem Dialog Euthydemos die zweideutige Frage: „Wer lernt, der Kluge oder der Dumme?“ (275d ff). Offenbar spielt er dabei auf die Doppelbedeutung des griechischen Wortes für „lernen“ an. Denn wenn das Wort verstanden wird als „etwas verstehen“, dann lautet die Frage eigentlich: „Wer versteht, der Kluge oder Dumme?“ und die Antwort müsste lauten: „Der Kluge.“ Versteht man aber das griechische Wort „lernen“ im Sinne von Wissen erwerben, dann lautet die Frage sinngemäß: „Wer muss Wissen erwerben, der Kluge oder de Dumme?“ und hier müsste die Antwort lauten: „Der Dumme“.

Auch seine Schrift über die Kategorien beginnt Aristoteles mit dem Beispiel eines Begriffs, der in verschiedenen Bedeutungen verwendet wird: „So wird z.B. der Name Sinneswesen sowohl von einem (wirklichen) Menschen wie von einem gemalten Menschen oder Tier gebraucht.“ Auch die Wörter „ist“ oder „sein“ sind nicht eindeutig, sondern können mehrere Bedeutungen haben, wie Aristoteles an mehreren Stellen seines Werks betont (z.B. Met. IV 2 1003a 33-34 oder Physik I 185a22). Und genau um diese verschiedenen Bedeutungen von „ist“ bzw. „sein“ geht es in der Kategorienschrift.

Bevor ich die aristotelischen Kategorien aufzähle, möchte ich zeigen, wie die Mehrdeutigkeit des Wortes „ist“ zu Fehlschlüssen führen kann. Nehmen wir als Beispiel ein Buch, das einen schwarzen Einband hat und weiße Seiten. Dann könnte man wie folgt schlussfolgern:

Das Buch ist schwarz (wegen des Einbands)
Das Buch ist nicht schwarz (wegen der Seiten)
Also ist das Buch schwarz und nicht schwarz, was ein Widerspruch ist.

Solche Fehlschlüsse kommen zustande, wenn man die Kategorie der Qualität mit der Kategorie des Wesens (der Substanz) verwechselt. Dass das Buch schwarz oder weiß ist, ist für das Buch nicht wesentlich, es hat diese Eigenschaften nur beiläufig (akzidentiell). Und nach Aristoteles ist es kein Widerspruch, wenn etwas zwei widersprechende Eigenschaften hat, sofern es sie nach verschiedenen Hinsichten hat. Das Buch ist eben schwarz in Hinsicht auf seinen Einband, und es ist weiß in Hinsicht auf seine Seiten.

Aristoteles gibt in den sophistischen Widerlegungen ein anderes Beispiel:

  • Koriskos ist nicht Sokrates
  • Sokrates ist ein Mensch
  • Also: Koriskos ist kein Mensch.

Das „ist“ der Aussage (1) wird im Sinne einer Identität von Individuen verwendet; das „ist“ in der Aussage (2) bedeutet die Zugehörigkeit zu einer allgemeinen Art. Aristoteles kennt eine ganze Reihe verschiedener Bedeutungen für das Wort „ist“ und nennt sie Kategorien. Um das Werkzeug der logisch-rationalen Argumentation zu schärfen bzw. überhaupt brauchbar zu machen, sollte man sich immer darüber im Klaren sein, welche Kategorien gerade verwendet wird.

Die Kategorien des Aristoteles (u.a.):

–        Wesen (Substanz/ousia): Was ist X? Was kommt X wesentlich zu?
–        Quantität: Wieviel ist X? Wie groß ist X?
–        Qualität: Wie ist X? Auf welche Weise ist X?
–        Relation: Wie steht X zu Y?
–        Ort: Wo ist X?
–        Zeit: Wann ist X?

Die Basiskategorie ist die Substanz, das Wesen eines Dinges. Nur die Substanz ist einer Sache wesentlich. Solange das Ding ist, hat es immer dasselbe (gleichbleibende) Wesen. Alle anderen neun Kategorien bezeichnen Akzidenzien der Dinge. Die Akzidenzien können nur an einer Substanz sein. Alleine für sich können sie nicht bestehen. Die Grundlage jedes akzidentellen Werdens ist immer eine Substanz. Ohne Substanz kann es kein akzidentelles Werden geben. So schreibt Aristoteles in der Physik (I 7 190a): „Am meisten aber scheint es der Substanz eigentümlich zu sei, dass sie, wiewohl der Zahl nach ein und dasselbe, für Konträres empfänglich.“ Die Substanz bleibt also beim akzidentellen Werden immer dieselbe und sie kann konträre Akzidenzien annehmen.

Beispiele für Substanz sind primär die Einzeldinge oder Individuen: Sokrates, ein bestimmtes Pferd, ein bestimmtes Haus. Substanzen im sekundären Sinn sind die Allgemeinbegriffe, durch die das Wesen eines Einzeldings angeben werden: Mensch (Was ist Sokrates? Ein Mensch), Pferd (Was ist dieses Tier? Ein Pferd), Haus (Was ist das? Ein Haus).

Ein Beispiel, wie Aristoteles die Kategorienlehre fruchtbar anwendet, ist mit bezug auf das Werden bzw. der Bewegung. Entsprechend den zehn Kategorien des Seins gibt es zehn Kategorien des Werdens bzw. der Bewegung.

Beispiel einer Anwendung der Kategorien: Erkennen eines Fehlschlusses

Jemand argumentiert: „Gestern hing der Apfel noch am Baum, Heute ist er heruntergefallen und liegt auf dem Boden. Der Apfel ist also heute ein anderer als gestern. Also war er gestern kein Apfel.“

Der Fehler in der Argumentation: Die Veränderung gemäß der Kategorie der Lage wird als Veränderung gemäß der Kategorie des Wesens missverstanden.

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