Stoa und das Sich-Fügen ins Notwendige

Die Stoa wurde von Zenon (333-262 v.Chr.) etwa um 300 v.Chr. gegründet. Chrysipp (276-204 v.Chr) bewahrte die Schule in einer kritischen Phase. Auch Seneca (1-65 n.Chr.), sowie Epiktet (50- 138 n.Chr.) und der römische Kaiser Marc Aurel (121-180 n.Chr.) waren Stoiker. Die Stoa war somit eine philosophische Schule, die etwa 500 Jahre lang Einfluss hatte.

Kurzdarstellung der Stoischen Philosophie

Das stoische Lehrgebäude war klar strukturiert in Logik, Physik und Ethik. Dabei stand die Ethik im Sinne einer guten Lebensführung an oberster Stelle und gab den erst genannten Disziplinen ihren Sinn.

Das Ziel der Stoiker ist es, „in Übereinstimmung mit der Natur zu leben“. Ihrer Auffassung nach ist eine göttliche Vernunft im Kosmos wirksam und alles in der Welt geschieht aus Notwendigkeit. Nichts geschieht zufällig. Alle Ereignisse sind durch Naturgesetze in Kausalketten unveränderlich vorherbestimmt.

Da auch der Mensch Vernunft hat, ist er mit der göttlichen Vernunft verbunden, und kann so, wenn er weise ist, die Gesetze des Kosmos und die Determiniertheit allen Geschehens in der Welt erkennen. Daher ist es für die Stoiker das oberste Lebensziel, die vernünftige Einsicht in den unveränderlichen Lauf der Dinge auszubilden. Wer dies erreicht, erkennt, dass es sinnlos ist, sich gegen den Lauf der Dinge aufzulehnen. Man lernt vielmehr, alles, was geschieht, mit Gleichmut hinzunehmen. Wer das kann, ist glücklich. Egal, ob Ruhm, Reichtum, Gesundheit, Krankheit, Armut etc.:  für den Weisen sind alle äußeren Dinge gleichgültig. Ein Mensch ist sowohl gut als auch glücklich, wenn er sich vollkommen in den unveränderlichen Lauf der Welt fügt.

Sowohl die Logik als auch die Physik haben nur den Zweck, eine solche weise Lebensführung zu unterstützen. Die stoische Disziplin der Logik umfasst Rhetorik, Dialektik, Erkenntnistheorie und Sprachtheorie. Die Logik soll dabei helfen, Fehlschlüsse zu vermeiden und wahre Erkenntnisse zu erlangen.

Die Naturphilosophie oder Physik hat die Aufgabe, ein systematisches Verständnis der Welt zu vermitteln, um das ethische Ziel, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben, zu erreichen. Die Stoiker vertreten eine materielle Weltsicht. Zu existieren, heißt für sie, ein Körper zu sein. Allgemeine Begriffe verwerfen sie als bloßer Einbildungen. Die materielle Welt wird durchdrungen von einer göttlichen Intelligenz, die alles aktiv gestaltet. Diese göttliche Intelligenz verstehen die Stoiker ebenfalls feinstofflich materiell, manchmal als kosmisches Feuer, manchmal als Atemstrom. Selbstverständlich obliegt es der Physik zu zeigen, dass alles auf der Welt mit kausaler Notwendigkeit geschieht und es keinen Zufall gibt.

Wer mehr über die stoische Philosophie erfahren möchte, insbesondere über deren praktische Anwendbarkeit auch heute noch, kann ich das Buch von Guido Bellberg empfehlen: Der Wilde Stoiker: Moderner Stoizismus für ein gutes Leben.

Die Stoa und die Merkmale (Abs), (mtAkt), (Bw) und (antiEmp)

Meine These ist, wie gesagt, dass die antike Philosophie sehr stark von der antiken Mathematik inspiriert wurde. Um dies zu belegen, habe ich hier bestimmte Merkmale der antiken Mathematik bestimmt und in Analogie dazu Merkmale, die man, meiner Meinung nach bei verschiedensten antiken Philosophen, dingfest machen kann, nämlich:

  • (Abs) Anspruch auf absolute, unumstößliche Wahrheit.
  • (mtAkt) Annahme eines mentalen Aktes, der einen privilegierten Zugang zur Wahrheit gewährt.
  • (Bw) Logisch-rationale Beweise.
  • (antiEmp) Anti-Empirismus.

Was zunächst mit bezug auf die Stoiker gegen meine These spricht, ist, dass die Stoiker nicht sehr an mathematischen Themen interessiert waren, dafür umso mehr an logischen Themen. Sie beschäftigten sich intensiv damit, wie man Fehlschlüsse vermeiden kann[1]. Ein wichtiges Feld waren ferner formale Untersuchungen zu korrektem logischem Schließen[2]. Dabei entwickelten sie erste Ansätze der sogenannten Aussagenlogik. Dennoch, denke ich, kann man die genannten Merkmale bei den Stoikern gut erkennen:

Der antike Autor Stobaeus schreibt[3]: „[Die Stoiker sagen:] Wissenschaftliches Wissen ist eine sichere und durch Raisonnement nicht zu erschütternde Erkenntnis.“ Dieses Zitat belegt (Abs). Es belegt aber auch (antiEmp), denn interessanterweise steht hier nicht „durch Raisonnement oder sinnliche Wahrnehmung nicht zu erschütternde Erkenntnis“. Durch diese Auslassung wird gesagt, dass eine wissenschaftliche Erkenntnis wohl durch logisch-rationales Argumentieren widerlegt werden kann, nicht aber durch Empirie.

Cicero schreibt[4]: „Nur wenn man etwas sinnlich Wahrgenommenes so erkannt hat, dass es durch Raisonnement nicht ins Wanken gebracht werden kann, dann bezeichnete er [ein Stoiker] es als wissenschaftliches Wissen, andernfalls als Nichtwissen…“ Damit ist gesagt: Eine Sinneswahrnehmung für sich alleine zählt erst einmal nichts, sie zählt erst dann als „Wissen“, wenn sie in eine Theorie eingeordnet werden kann.

In Ihrem Buch Die hellenistischen Philosophen schreiben Long und Sedley: „Während ihrer ganzen Geschichte rückten die Stoiker nicht von der … These ab, dass ein untrügliches Wissen von der Welt möglich ist …“[5]

Sextus Empiricus schreibt[6]: „Das (wissenschaftliche) Wissen [ist] die sichere, fest und durch Rai­son­nement nicht abänderbare Erkenntnis.“ Auch dieses Zitat belegt erstens (Abs), zweitens aber auch (antiEmp), weil wieder die sinnliche Erfahrung überhaupt nicht als Kandidat dafür in Betracht gezogen wird, eine gewonnene Erkenntnis erschüttern zu können.

Im selben Text setzt Sextus Empiricus fort: „… das (wissenschaftliche) Wissen [ist] allein bei den Weisen zu finden … und die erkenntnistaugliche Vorstellung ist … das Kriterium der Wahrheit“. Hier sieht man, dass die Stoiker auch einen mentalen Akt annahmen, den sie „erkenntnistaugliche Vorstellung“ nannten und für sich alleine bereits eine Garantie für sichere Erkenntnis ist.

Erkenntnistaugliche Vorstellungen gelten den Stoikern als Wahrheitskriterium. Sie zeichnen sich durch vollständige Genauigkeit und Klarheit aus. Sozusagen durch ihre „mentale Qualität“ gewährleisten sie, dass der erkannte Gegenstand so vorgestellt wird, wie er tatsächlich ist. Sie entsprechen im übertragenen Sinne dem, was bei Platon Vernunfterkenntnis von Ideen ist, bei Aristoteles die durch Induktion gewonnene Wesensschau oder in der Geometrie die anschauende Erkenntnis. Das Konzept der erkenntnistauglichen Vorstellung belegt den obigen Punkt (mtAkt).

Offenbar glaubten die Stoiker an die Kraft des logisch-rationalen Argumentierens, mit der man auf der Basis des mentalen Aktes von „erkenntnistauglichen Vorstellungen“ zu unumstößlich wahren Erkenntnissen gelangen kann (Bw). Sie glaubten ferner daran, dass logisches-theoretisches Raisonnieren mehr zählt als Empirie.

Exkurs: Stoische Logik

In ihrer etwas fünfhundertjährigen Geschichte beschäftigten sich die Stoiker intensiv mit formal-logischen Fragen. Ich gebe an dieser Stelle nur einen minimalen Hinweis auf ihre Leistungen[7]. Bemerkenswert ist, dass sie einen anderen Ansatz verfolgten als Aristoteles. Wir würden ihre Logik heutzutage als Aussagenlogik bezeichnen. Hier wird zwischen einfachen Aussagen und zusammengesetzten Aussagen unterschieden. Folgende Beispiele gaben die Stoiker für zusammengesetzte Aussagen:

  • wenn p dann q.
  • p und q.
  • entweder p oder q (aber nicht beide zusammen).

Aussagen können Wahrheitswerte annehmen, das heißt sie sind wahr oder falsch. Und die Wahrheitswerte kann man sich sozusagen mittels logischer Schlüsse „ausrechnen“. Die Stoiker geben folgende Beispiele:

  • wenn p dann q; nun aber p; also q.
  • wenn p dann q; nun aber nicht q; also nicht p.
  • nicht (p und q); nun aber p; also nicht q.
  • entweder p oder q; nun aber p; also nicht q.
  • entweder p oder q; nun aber q; also p.

Seit dem Ende der Antike geriet diese Art von Logik in Vergessenheit. Man konzentrierte sich stattdessen auf die aristotelischen Syllogismen. Erst Mathematiker im 19. Jahrhundert entdeckten die Aussagenlogik wieder neu, und damit kam auch die stoische Logik wieder zu Ehren.

 

[1] Siehe Long/Sedley [35], S. 260 ff.

[2] Siehe Long/Sedley [35], S. 359.

[3] Zitiert nach Long/Sedley [35], S. 305.

[4] Zitiert nach Long/Sedley [35], S. 302.

[5] Siehe Long/Sedley [35], S. 296.

[6] Zitiert nach Long/Sedley [35], S. 302 f.

[7] Eine ausführliche Darstellung gibt Michael Frede in [16].

3 Kommentare
  1. Guido Bellberg sagte:

    Sehr schöne Einführung! Schade, dass sie nicht von mir ist. Eine korrekte Welterkenntnis im Sinne der antiken Stoiker ist aus heutiger Sicht wohl nicht möglich. Mein Motto bleibt aber: wir haben keine wirkliche Alternative, als es weiter zu versuchen … Danke für den tollen Artikel!

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  2. Thinking sagte:

    Es hat mich sehr überrascht, wie groß die Übereinstimmung der stoischen Ethik mit dem Kismet der islamischen Religion ist.

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    • peterreins sagte:

      Manchmal hört oder liest man, dass die islamische Kultur mit unserer westlichen, europäischen Kultur gar nicht kompatibel wäre. Ich bin hier tatsächlich anderer Meinung. Letztlich überwiegen die Gemeinsamkeiten. Man bedenke z.B. dass wir fast alle Schriften des Aristoteles nur über islamische Gelehrte vermittelt bekommen haben. Ansonsten wären sie verloren gegangen. Von Impulsen auf dem Gebiet der Mathematik ganz zu schweigen. Im Mittelalter war die arabische Wissenschaft ohne Zweifel fortschrittlicher als die europäische. Natürlich gibt es heute einen islamischen Fundamentalismus. Aber es gibt auch christlichen Fundamentalismus.

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