David Hume: Zweifel an der Induktion
David Hume (1711-1776) war ein schottischer Historiker, Ökonom und Philosoph. Er beeinflusste Kant, sowie die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts. Eines seiner wichtigsten Werke ist
- An Enquiry Concerning Human Understanding, dt. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, veröffentlicht 1748.
In vielen Punkten dachte Hume ähnlich wie John Locke. Sie glaubten beide, dass nichts im menschlichen Verstand ist, was nicht vorher in den Sinnen war (Sensualismus). Beide verwendeten Beobachtungen, Selbstreflexionen und Gedankenexperimente als Methoden in der Philosophie. Beide verzichteten auf ausgefeilte logisch-rationale Beweise und philosophierten ohne den Anspruch darauf, absolute Wahrheiten gefunden zu haben. Sie verkörpern damit einen neuen Stil des Philosophierens.
Gemeinsam ist ihnen ferner eine Metaphysik-feindliche Grundhaltung. Ein wichtiger Antrieb ihres Philosophierens bestand darin, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis klarzustellen, um unsinnige Metaphysik in die Schranken weisen zu können. So schreibt Hume[1]: „Genaue und richtige Vernunfttätigkeit ist das einzige Allheilmittel für jedermann […] Es ist allein ist imstande, jene unzulängliche Philosophie und das metaphysische Kauderwelsch zu zerstören […].“
Beide glaubten auch, dass ein unbedachter Gebrauch der Sprache zu philosophischen Verwirrungen führen kann, schlimmstenfalls sogar zu unfruchtbaren Streitereien. Hume: „Haben wir daher Verdacht, dass ein philosophischer Ausdruck ohne irgendeinen Sinn oder eine Vorstellung gebraucht werde, was nur zu häufig ist, so brauchen wir bloß nachzuforschen, von welchem Eindruck stammt diese angebliche Vorstellung her? Und lässt sich durchaus kein solcher aufzeigen, so wird dies zur Bestätigung unseres Verdachts dienen. Indem wir die Vorstellungen in ein so klares Licht stellen, dürfen wir billig hoffen, allem Streit […] ein Ende zu machen.“
Hume lieferte einen sehr wichtigen Beitrag zur logischen Analyse der Kausalität.
(1) Dass eine Ursache A eine bestimmte Wirkung B hat, ist nicht durch eine rationale Einsicht oder deduktive Beweisführung erkennbar, sondern immer mittels Erfahrung.
Rein theoretisch ist es z.B. denkbar, dass eine Billardkugel mit hoher Geschwindigkeit auf eine andere Billardkugel trifft und beide unvermittelt stehen bleiben. Dass das in der Regel nicht so geschieht, sondern die erste Kugel abgelenkt wird und die zweite einen Impuls erhält, ist nur durch Beobachtung und Empirie feststellbar.
(2) Egal wie häufig wir in der Vergangenheit beobachtet haben, dass eine Ursache A eine bestimmte Wirkung B hat, so folgt dadurch rein logisch noch nicht, dass A auch künftig immer die Wirkung B haben wird.
Wir haben z.B. bisher immer erlebt, dass eine Billardkugel auf eine bestimmte Weise durch eine andere Kugel in Bewegung. Sooft wir das aber beobachtet haben: es gibt keinen logischen Grund, warum die Bewegungsabläufe nicht mit einem Mal ganz anders stattfinden,
Wir haben bisher immer Brot gegessen und haben uns hinterher satt gefühlt. Dennoch ist es widerspruchsfrei denkbar, das Brot uns plötzlich nicht mehr sättigt.
(3) Die einzige Rechtfertigung dafür, dass wir auf der Basis vergangener Beobachtungen daran glauben, dass die Ursache A immer die Wirkung B haben wird, ist Gewohnheit. Und das ist kein rationaler Grund.
Wir sind einfach daran gewöhnt, dass Billardkugeln sich auf eine bestimmte Art verhalten. Deswegen glauben wir, dass sie es immer so tun werden. Ebenso glauben wir daran, dass Brot uns auch in Zukunft sättigen wird, nicht weil wir einen logischen Beweis dafür haben, sondern weil wir daran gewöhnt sind.
(4) Je mehr wir daran gewöhnt sind, dass nach A die Wirkung B hat, umso mehr glauben wir irrigerweise, dass auf A die Wirkung B aufgrund logisch-rationaler Gründe folgt.
Lernen wir z.B. ein ganz neues Material kennen, dann können wir überrascht sein, wie es sich anfühlt. Jedenfalls werden wir keinerlei rationalen Anhaltspunkt dafür haben, welche Wirkungen es haben wird. Wir müssen mit dem Material erst Erfahrungen sammeln. Je mehr wir mit dem Material zu tun haben, umso mehr werden wir uns seine bestimmten Eigenschaften gewöhnt haben, bis wir seine Wirkungen für eine Selbstverständlichkeit halten und möglicherweise glauben, dass dieses Material aus logischen Gründen bestimmte Wirkungen hat.
Diese vier Punkte veranlassen Hume dazu, den Standpunkt eines Skeptikers einzunehmen. Wenn ein Kausalgesetz nicht aufgrund von Vernunftgründen gültig ist, und auch durch keine Induktion, so umfangreich sie auch sein mag, logisch gerechtfertigt werden kann, dann sollte man sich mit Aussagen über Kausalzusammenhänge zurückhalten.
Hier unterscheidet Hume den theoretischen vom praktischen Standpunkt. Denn sobald wir handelnd im Leben stehen, ist es nur natürlich, dass uns so verhalten, als ob Kausalzusammenhänge, an die wir gewöhnt sind, uneingeschränkt gelten, jetzt und auch in Zukunft. Andes wäre es unmöglich zu leben. Von einem theoretischen Standpunkt aus aber ist klar, dass weder ein bestimmter Kausalzusammenhang noch eine Induktion logisch gerechtfertigt werden können.
Recht verstanden hat Hume damit das Wissenschaftsmodell ausgehebelt, das seit Aristoteles bis in die Neuzeit, sogar bis Galilei und Newton als richtig angenommen wurde. Denn in diesem Wissenschaftsmodell hatte die Induktion eine herausragende Rolle. Der antike Naturphilosoph, aber wie gesagt selbst Galilei und Newton, glaubten anhand von Erfahrungsdaten zu allgemein gültigen Gesetzen aufsteigen zu können, die dann das Fundament einer Wissenschaft sind, aus dem alles Weitere logisch-deduktiv bzw. mathematisch abgeleitet wird.
Mit Humes Analyse wurde der Weg frei für die heutige Auffassung des wissenschaftlichen Vorgehens. Danach gelangt der Naturwissenschaftler mittels Induktion nicht zu allgemein gültigen Naturgesetzen, sondern nur zu Hypothesen. Und es werden immer Hypothesen bleiben, nie mehr, selbst dann, wenn sie sich über hunderte von Jahren bewährt haben. Die heutige Naturwissenschaft ist, jedenfalls wissenschaftstheoretisch gesehen, skeptisch. Wie gesagt, gibt es ja noch den Standpunkt der Praxis; und hier werden die „Naturgesetze“ einfach als gültig angenommen, weil sie bei Problemlösungen nützlich sind und man sich daran gewöhnt hat. Viel mehr ist es aber auch nicht.
Wie wir sehen werden, konnte Kant dem noch nicht folgen. Er hing noch dem alten Wissenschaftsmodell nach, bei dem Naturgesetze unumstößliche, notwendige Wahrheiten sein sollen.
[1] Hume, Enquiry, Erster Abschnitt.
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