Kant und seine transzendentale Begründung der Physik

Nachfolgend stelle ich Kants Versuch dar, die Newtonsche Physik philosophisch zu begründen.

Locke hatte ein bestimmtes Bild von der materiellen Wirklichkeit, dass sie sich nämlich aus atomaren Partikeln zusammensetzt. Er gab aber zu, dass dieses Bild nur hypothetisch und bestenfalls wahrscheinlich ist. Stattdessen können wir uns nur unseres Ichs und seiner subjektiven Bewusstseinserlebnisse gewiss sein. Gerade weil wir die atomaren Partikel nicht erkennen können, ist die Außenwelt, so wie sie sich tatsächlich zusammensetzt und wie die Kausalitäten hier tatsächlich sind, für uns nicht erkennbar. Wenn das aber so ist, dann kann man sich fragen, warum Locke überhaupt noch an dem atomistischen Bild von der Außenwelt festhält.

Kant beseitigte diese Inkonsequenz, indem er auf jegliche Theorie über die Wirklichkeit, so wie sie an sich ist, verzichtet. Wenn ich etwas über die äußere Welt zu erkennen glaube, dann ist das niemals, wie die Dinge an sich sind. Und wenn ich mir ein Bild darüber mache, egal ob hypothetisch oder nicht, ist es in diesem Moment bereits keine Wirklichkeit mehr, wie sie an sich besteht, sondern eine Wirklichkeit, wie sie mir erscheint. Die Welt, die wir sinnlich erfahren und über die wir nachdenken, die wir für die objektive, materielle Wirklichkeit halten, ist nach Kant immer schon eine Welt der Erscheinungen.

Locke hatte ja die Vorstellung, dass die sinnlichen Wahrnehmungen dadurch entstehen, dass kleinste Partikel auf die Sinnesorgane treffen. Welche genaue Wahrnehmung entsteht hängt somit erstens von diesen Partikeln ab, zweitens aber auch von dem Sinnesorgan, auf das sie treffen. Aber auch hier ist Locke inkonsequent, weil wir ja eigentlich weder genauen Kenntnisse über diese Partikel haben, noch genau wissen, wie die Interaktion zwischen ihnen und unseren Sinnesorganen stattfinden soll. All das ist in dem Sinne bloß hypothetisch, als wir nur Vermutungen darüber anstellen können. Kant beseitigt auch diese Inkonsequenz, indem er das Ganze auf eine allgemeinere Ebene stellt. Nach Kant ist nur gewiss, dass die Dinge an sich irgendwie auf das erkennende Subjekt einwirken, so dass ein Sinneseindruck im Subjekt entsteht, an dem sowohl die Dinge an sich als auch das erkennende Subjekt beteiligt ist. Das heißt, die Dinge erscheinen nur unter den Vorausseitzungen, die durch das erkennende Subjekt gegeben sind.

Nach Kant gibt es für die sinnliche Wahrnehmung zwei generelle Voraussetzungen, die durch das erkennende Subjekt gegeben sind. Jede Wahrnehmung eines Dinges muss nämlich erstens räumlich und zweitens zeitlich sein. Ob ich etwas Rotes, Grünes oder Blaues wahrnehme, ob etwas warm oder kalt ist, ist gewissermaßen zufällig. Nicht zufällig ist es, sondern notwendig, dass mir jedes Ding mit einer räumlichen Gestalt und in der Zeit erscheint.

Nach Kant kann ich mich aber nicht nur über die sinnliche Wahrnehmung auf die Dinge der Erscheinungswelt beziehen, sondern auch durch abstraktes Erkennen. Immerhin ist das Erkennen ebenfalls Teil des subjektiven Bewusstseinsstroms. Aber auch abstrakt erkennend kann ich nicht die Realität begreifen, wie sie tatsächlich unabhängig von mir, an sich, existiert. Vielmehr kann ich die Dinge nur erkennen unter den Bedingungen, die durch das erkennende Subjekt gegeben sind. Und diese subjektiven Bedingungen, unter denen ich die Welt der Erscheinungen überhaupt verstandesmäßig erkennen kann, nennt Kant Kategorien. Kant behauptet, dass es insgesamt zwölf Kategorien gibt. Ich nenne hier nur die drei wichtigsten:

Die Kategorie der Substanz: Wenn ich ein Ding erkenne, dann kann ich das nur als dauerhaften Träger verschiedener, eventuell wechselnder Eigenschaften. Ein Ding gänzlich ohne Eigenschaften ist nicht vorstellbar. Kategorie der Kausalität: Wenn ich ein Ding erkenne, dann kann ich das nur als entstanden aufgrund bestimmter gesetzmäßiger Ursachen. Ein Werden ohne gesetzmäßige Ursachen ist nicht vorstellbar. Kategorie der Wechselwirkung: Wenn ich zwei Dinge gleichzeitig erkenne, dann muss ich sie als in Wechselwirkung zueinander stehend denken. Dass sie gänzlich beziehungslos zueinander sind, ist nicht vorstellbar. Daraus folgt, dass die Welt nicht aus Substanzen besteht, die unabhängig voneinander existieren, wie Leibniz meinte. Vielmehr müssen wir uns die Welt als ein Ganzes von Substanzen denken, die sich gegenseitig beeinflussen.

Wohlgemerkt. Die Kategorien sagen uns nicht, wie sich die Dinge selbst verhalten. Vielleicht gibt es in der Realität, wie sie unabhängig von uns existiert, keine Substanzen und keine Kausalitäten. Oder falls sie sind, stehen sie an sich in keiner wechselweisen Beziehung. Diese an und für sich bestehende Wirklichkeit ist uns weder durch Sinneswahrnehmung noch durch unser Denken zugänglich. Kant meint nun, dass wir die Welt, wie sie uns erscheint, immer in Form von substanziellen Dingen mit ihren Eigenschaften und bedingt durch Ursache und Wirkung denken müssen. Sowohl die Räumlichkeit, die Zeitlichkeit, als auch die Vorstellung von Substanzen, die Kausalität und die wechselweise Beeinflussung sind subjektive Bedingungen dafür, dass wir überhaupt Dinge erkennen. Auf diese Weise verleiht die Subjektivität der Wirklichkeit allgemeine Formen.

Ähnlich wie Descartes stellt Kant fest, dass alle unsere Bewusstseinserlebnisse immer mit einem „ich denke“ begleitet werden können. Descartes schließt daraus, dass das Ich eine Substanz ist, eine dauerhafte Grundlage für jedes Bewusstseinserlebnis. Kant weist nun darauf hin, dass dieses Ich genauso wie die Dinge an sich nicht selbst erkennbar ist. Er nennt es das „transzendentale Ich“, das er dem empirischen Ich gegenüberstellt, das darin besteht, dass man sich selbst einerseits als lebendigen Körper wahrnimmt, andererseits innere Empfindungen hat, die man mit seinem persönlichen, seelischen Selbst identifiziert. Während dieses empirische Ich der Welt der Erscheinungen angehört, ist das beim transzendentalen Ich nicht der Fall. Diese Unterscheidung ist für Kant deswegen wichtig, weil seine Erkenntnistheorie einen unmittelbaren Bezug zu seiner Moralphilosophie hat. Denn das empirische Ich als Bestandteil der Welt der Erscheinungen, muss wie alles darin, so gedacht werden, dass es vollständig der Kausalität unterliegt. Somit ist jede körperliche Regung und jede seelische Empfindung durch Ursachen determiniert, so dass es weder Freiheit noch moralische Gesetze geben kann. Freiheit und Moral kann es folglich nur bezogen auf das transzendentale Ich geben.

Auch Kant will, wie Locke, die Grenzen unseres Wissens bestimmen. Und ebenso wie Locke kennt Kant zwei Musterbeispiele notwendigen Wissens. Erstens rein tautologische oder analytische Urteile, z.B. der Form „A ist B“, falls, immer wenn man A denkt, notwendig auch B mitgedacht wird, oder „A ist nicht C“, wenn A notwendigerweise C ausschließt. Analytische Urteile drücken somit nur das aus, was sowieso schon klar ist, und bringen keinen Erkenntniszugewinn. Das zweite Beispiel sind die subjektiven Bedingungen dafür, dass uns überhaupt Dinge erscheinen. Wie wir gerade gesehen haben, sind das:

  1. Die Räumlichkeit jeder sinnlichen Erfahrung, woraus Kant die notwendige Gültigkeit der (euklidischen) Geometrie folgert;
  2. Die Zeitlichkeit jeder sinnlichen Erfahrung, woraus Kant die notwendige Gültigkeit der Arithmetik folgert.
  3. Die Notwendigkeit, jedes Ding gemäß den Verstandeskategorien zu denken, woraus Kant unter anderem die folgenden philosophischen Grundsätze folgert:

a. Grundsatz der Substanz:
Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen Bestimmung.

b. Grundsatz der Kausalität:
Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, woraus es nach einer Regel folgt.

c. Grundsatz der Wechselwirkung:
Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Wechselwirkung zueinander.

Kant glaubt ferner, mit seinem Ansatz des Philosophierens die Naturwissenschaft begründen zu können, bzw. genau genommen ausschließlich die Newtonsche Physik. Newton selbst behauptete ja, dass die Axiome in den Principia durch Induktion aus den Naturerscheinungen abgeleitet hätte. Euler und Lagrange glaubten, die Grundprinzipien der analytischen Mechanik rational beweisen zu können. Auch Kant muss man dieser rationalistischen Tradition zuordnen. Kant schreibt in den Metaphysischen Anfangsgründen[1]:

„Alle Naturphilosophen, welche in ihrem Geschäfte mathematisch verfahren wollten, haben sich daher jederzeit (obwohl schon selbst unbewusst) metaphysischer Prinzipien bedient und bedienen müssen, wenn sie sich gleich sonst wider allen Anspruch der Metaphysik auf ihre Wissenschaft feierlich verwahrten. […] Alle wahre Metaphysik ist aus dem Wesen des Denkungsvermögens selbst genommen, und keineswegs darum erdichtet, weil sie nicht von der Erfahrung entlehnt ist, sondern enthält die reinen Handlungen des Denkens, mithin Begriffe und Grundsätze a priori, welche das Mannigfaltige empirischer Vorstellungen allererst in die gesetzmäßige Verbindung bringt, dadurch es empirische Erkenntnis, d.i Erfahrung, werden kann. So konnten also jene mathematischen Physiker metaphysischer Prinzipien gar nicht entbehren. […] Darüber aber bloß empirische Grundsätze gelten zu lassen, hielten sie mit Recht der apodiktischen Gewissheit, die sie ihren Naturgesetzen geben wollten, gar nicht gemäß, daher sie solche lieber postulierten, ohne nach ihren Quellen a priori zu forschen.“

Kant sagt hier, dass die Newtonsche Physik schon immer den Anspruch hatte, dass ihre Prinzipien als unumstößlich gewiss gelten. Weder Newton noch andere Physiker hätten aber den genauen Grund erkannt, warum, sie tatsächlich a priori und notwendig wahr sind. Der Grund liegt darin, dass sie tatsächlich im Sinne Kants metaphysisch wohl begründet sind, und das heißt, dass sie aus den subjektiven Bedingungen der Erfahrung selbst folgen. Die versucht Kant in seinen Metaphysischen Anfangsgründen auszuführen. Kant hielt die Newtonsche Physik erst durch seine metaphysische Begründung für vollendet. Und seine ausdrückliche Hoffnung war, dass diese Begründung künftig Teil jedes Physiklehrbuchs werden würde. Aber auch die Geometrie und die Arithmetik hätten nach Kants Auffassung erst durch seine Philosophie die tiefere Begründung erhalten, warum sie sichere Erkenntnis ermöglichen. Kant ist damit ein hervorragendes Beispiel für den Anspruch einer neuzeitlichen Philosophie, Königin der Naturwissenschaft zu sein.

Es ist durchaus bemerkenswert, dass Kant ausschließlich die Newtonsche Mechanik für eine apodiktische Wissenschaft hält, nicht aber z.B. die Chemie. Die Begründung, die Kant für diesen Standpunkt gibt, lässt an das erinnern, was ich oben Mathematisierung der Natur genannt habe, dass nämlich „in jeder Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist.“[2]

Interessant ist ferner, dass sich Kant offenbar auf Newtons Version der Mechanik von 1687 bezieht und die zeitgenössischen Weiterentwicklungen der Newtonschen Mechanik durch Euler oder Lagrange nicht zur Kenntnis nimmt. Das sieht man daran, dass Kant mit keinem Wort auf Eulers Mechanik eingeht, noch auf das d’Alembertsche Prinzip oder andere Prinzipien der analytischen Mechanik. Lagrange freilich wird seine Méchanique Analitique erst ein paar Jahre nach Kants Metaphysischen Anfangsgründen veröffentlichen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Kant nicht Newtons zweites Bewegungsgesetz als F=ma interpretiert. Diese Formulierung geht ja auf Euler zurück. In der Principia hingegen wird als zweites Bewegungsgesetz ein proportionaler Zusammenhang von einwirkender Kraft und Bewegungsänderung behauptet. Und aus dem Zusammenhang wird klar, dass Newton damit „Geschwindigkeitsänderung“ meinte. Somit ist das originäre zweite Bewegungsgesetz so zu verstehen, dass die Kraft proportional zu mv ist. Letzteres ist eine physikalische Größe, die sowohl bei Descartes, bei Newton und nun auch bei Kant „Bewegungsquantität“ oder „Größe der Bewegung“ heißt[3] und heute als „Impuls“ bezeichnet wird. Folglich ist die Kraft, die Newton und Kant meinen, eine punktuell wirkende Stoßkraft. Anders formuliert: Die Kraft, die auf ein Materieteilchen einwirkt, ist die Ursache dafür, dass dieses Materieteilchen seine Geschwindigkeit ändert, wobei das sowohl die Richtung der Bewegung, als auch die Stärke der Bewegung sein kann. Eine größere Kraft verursacht auch eine größere Geschwindigkeitsänderung.

Dass diese Interpretation zutreffend ist, sieht man daran, dass sich Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen ständig auf die Geschwindigkeit bezieht und so gut wie nie auf die Beschleunigung. So lautet beispielsweise der erste Lehrsatz des Dritten Hauptstückes:

„Lehrsatz 1. Die Quantität der Materie [d.i die Masse] kann in Vergleichung mit jeder anderen nur durch die Quantität der Bewegung bei gegebener Geschwindigkeit geschätzt werden.“

Das bedeutet: Wenn man zwei Körper A und B hat und feststellen will, welcher von beiden mehr Masse hat, dann sollte man beide mit derselben Geschwindigkeit auf einen weiteren Körper C aufprallen lassen. Bewegt sich C nach der Kollision mit A schneller als nach der Kollision mit B, dann weiß man, dass A mehr Masse als B hat. Heutzutage ist es eher üblich, sich bei Messung von Masse auf die Erdbeschleunigung zu beziehen, somit auf die Gewichtskraft G=mg, die man durch eine Waage bestimmen kann. Dass Kant das nicht tut und sich vielmehr Massen durch entsprechend unterschiedliche Impulse vergleichen will, ist ein Indiz dafür dass er dass zweite Bewegungsgesetz nicht als F=ma versteht.

So passt es auch, dass Kant einen Impulserhaltungssatz, indem er es als „erstes Gesetz der Mechanik“ bezeichnet[4]:

„Lehrsatz 2. Erstes Gesetz der Mechanik. Bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Bewegung im Ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert.“

Dabei handelt es sich genaugenommen nicht um den cartesischen Impulserhaltungssatz, bei dem es um die Erhaltung des Impulses beim Aufprall zweier Materieteilchen geht. Dieses Gesetz formuliert Kant später als actio=reactio. Kants erstes Gesetz der Mechanik behauptet hingegen, dass ein materieller Körper für sich genommen, ohne Bezug auf andere Materieteilchen, keinen Impuls (kein „Bewegungsquantum“) verlieren kann.

Das Trägheitsprinzip nennt Kant „zweites Gesetz der Mechanik“[5]:

„Lehrsatz 3. Zweites Gesetz der Mechanik. Alle Veränderung der Materie hat eine äußere Ursache. (Ein jeder Körper beharrt in seinem Zustande der Ruhe oder der Bewegung, in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit, wenn er nicht durch eine äußere Ursache genötigt wird, diesen Zustand zu verlassen.)“

Kant kommt es hier vor allem darauf an, dass ein materieller Körper nicht aufgrund einer inneren Ursache seinen Bewegungszustand verändern kann. Die Materie ist „leblos“, wie er schreibt. Ist ein Materieteilchen in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung, dann bleibt es in diesem Zustand, es sei denn eine äußere Ursache bewirkt eine Bewegungsänderung. Aus dem Zusammenhang ist klar, was Kant unter einer solchen „äußeren Ursache“ versteht, nämlich einen äußerlich auf das Materieteilchen einwirkenden Kraftstoß. Jedenfalls spricht Kant in seinem „Beweis“ zu seinem dritten Gesetz der Mechanik, dem Prinzip actio=reactio, ausdrücklich von „Stößen“[6]:

„Hieraus folgt das, für die allgemeine Mechanik nicht unwichtige, Naturgesetz: dass ein jeder Körper, wie groß auch seine Masse sei, durch den Stoß jedes anderen, wie klein auch seine Masse oder Geschwindigkeit sein mag, beweglich sein müsse.“

Es ist also offensichtlich, dass es in Kants Mechanik um Kräfte geht, die mittels Stößen punktuelle auf materielle Körper einwirken, und dabei eine Änderung der Geschwindigkeit verursachen. Das Thema Beschleunigung streift Kant in seiner „Allgemeinen Anmerkung zur Mechanik“[7], aber auch nur im Zusammenhang mit Stößen. Geht man von einer ruhenden Kugel A aus, auf die eine andere Kugel aufprallt, dann wird A durch den Stoß von einer Geschwindigkeit Null auf eine Geschwindigkeit v beschleunigt. Nun gibt es das auf Leibniz zurückgehende Prinzip, dass die Natur keine Sprünge mache. Eine derartig plötzliche Beschleunigung scheint aber ein Sprung zu sein. Um diesen Schluss zu vermeiden, behauptet Kant, dass es sich bei einem Stoß tatsächlich um eine kontinuierliche Beschleunigung, allerdings innerhalb einer infinitesimalen Zeiteinheit.

Auf die heute übliche Formulierung des zweiten Newtonschen Bewegungsgesetzes, F=ma, geht Kant mit keinem Wort ein. Auch nicht, wie gesagt, auf das D’Alembertsche Prinzip oder andere Prinzipien der zeitgenössischen analytischen Mechanik. Kant scheint die gesamte Weiterentwicklung der Mechanik seit Newton nicht zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen nimmt er die metaphysische Grundlagendiskussion wieder auf, von der sich die zeitgenössischen Naturwissenschaftler inzwischen distanziert haben.

Wissenschaftstheoretisch ist interessant, dass Kant glaubt, jedes mechanische Grundprinzip beweisen zu können. Und zwar letztlich durch Rückführung auf die Denkkategorien, die er bereits in der Kritik der reinen Vernunft beschrieben hat. Gemäß dem ersten Gesetz der Mechanik bleibt das Bewegungsquantum mv eines Materiestücks, alleine für sich genommen, völlig unverändert. Dies begründet Kant letztlich mit der Kategorie der Substanz. Das zweite Gesetz, das Trägheitsprinzip, entspricht der Kategorie der Kausalität, denn der Bewegungszustand eines materiellen Körpers ändert sich nur aufgrund einer äußeren Ursache. Und das dritte mechanische Gesetz, actio=reactio, begründet Kant mit der Kategorie der Wechselwirkung.

Nachwirkung

Kants Hoffnung, dass seine metaphysische Begründung der Newtonschen Mechanik allgemein anerkannt wird, wurde enttäuscht. Am meisten wurde noch seine Begründung der Geometrie von einer Vielzahl von Mathematikern und anderen Wissenschaftlern akzeptiert. Danach ist die Geometrie notwendig, weil unsere subjektive Anschauung nicht anders kann, als die Dinge gemäß der euklidischen Geometrie wahrzunehmen. Als auch nicht-euklidische Geometrien entdeckt wurden, war dies war lange ein Argument dafür, dass die euklidische Geometrie gewissermaßen „natürlich“ sei, wohingegen nicht-euklidische Geometrien „künstliche“ Konstruktionen wären. Selbst Gottlob Frege war dieser Meinung.

[1] Kant: Metaphysischen Anfangsgründe, S. 17

[2] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 14.

[3] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 101.

[4] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 106.

[5] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 109.

[6] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 114.

[7] Kant: Metaphysische Anfangsgründe, S. 119 ff.

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