Geschichtliches zur Zeitmessung
Die Auffassung der physikalischen Größe “Zeit” hat sich am Anfang der wissenschaftlichen Revolution, insbesondere bei Newton, verändert. Dafür, denke ich, ist die damalige Entwicklung der Zeitmessung verantwortlich.
Für eine untertägige Zeiteinteilung wurden in der Antike bis ins Mittelalter Sonnenuhren, Wasseruhren und Sanduhren verwendet. Der Mittag wurde eindeutig festgelegt durch den höchsten Stand der Sonne. Bei der Sonnenuhr wird die Zeitdauer zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang um den Mittagsstrich herum in zwölf Stunden eingeteilt. Nun ist diese Zeitdauer, je nach Jahreszeit, mal länger, mal kürzer. Dementsprechend sind die Stunden der Sonnenuhr mal kürzer, mal länger, so dass sie nur eine höchst unpräzise Zeitmessung zulässt. Dass das alles eher ungenaue Hilfsmittel sind, war lange eher unwichtig.
Die allermeisten „normalen“ Menschen von der Antike bis ins 17. Jahrhundert mussten die genaue Uhrzeit nicht kennen. Für das Arbeits- und Geschäftsleben und den gewöhnlichen Alltag brauchte man damals keine genauen Uhren. Zeitangaben benötigte man höchstens für die Einteilung von Wachdiensten oder wann eine öffentliche Veranstaltung begann und endete, aber dafür genügten sehr grobe Angaben. Für eine Gruppe hingegen war die genaue Uhrzeit schon immer wichtig: die Astronomen. Denn sie wollten möglichst genau bestimmen, wann eine Beobachtung am Nachthimmel gemacht worden ist bzw. zu erwarten ist.
Seitdem die Europäer seit der frühen Neuzeit die Weltmeere bereisten, waren Seefahrer die zweite Berufsgruppe, die präzise Uhren benötigten. Die Breitengrade sind mit astronomischen Mitteln relativ einfach festzustellen. Die Längengrade hingegen auf hoher See zu erkennen, war lange nicht möglich. Aufgrund der Unkenntnis der Längengrade machten die Kapitäne immer wieder schwere Navigationsfehler, die zu Schiffsunglücken führten. Früh war klar, dass präzise und seetaugliche Uhren das Problem lösen würden. Aus diesem Grund schrieb 1714 das britische Parlament einen Preis für denjenigen aus, der das Längenproblem lösen würde. Dies gelang schließlich dem englischen Uhrenmacher John Harrison im Jahre 1759.
Spätestens seit Galilei waren die mathematischen Physiker die dritte Gruppe, die eine genaue Zeitmessung brauchten. Bekanntlich behalf sich Galilei für seine Versuche an der schiefen Ebene mit einer Art Wasseruhr. Präzise Zeitmessung war aber auch für sich genommen ein interessantes physikalisches bzw. ingenieurswissenschaftliches Problem.
So machte Huygens 1657 die bahnbrechende Erfindung der Pendeluhr. Und er erfand sie nicht nur, sondern er baute auch unzählige davon. Huygens ist damit ein Musterbeispiel eines Wissenschaftlers des 17. Jahrhunderts, der zugleich mit der Ingenieurskunst verbunden war. Es gelang ihm, die Genauigkeit seiner Uhren bis auf 10 Sekunden pro Tag zu verbessern. Später erfand und baute er auch Taschenuhren mit Spiralfeder und Unruh.
Wie gesagt hatten im 17. Jahrhundert außer Kapitäne, Astronomen und mathematische Physiker keinen wirklichen Bedarf an exakten Uhren. Für den Alltag der Allermeisten genügten die groben Zeitangaben der Turmuhren. Kaum waren aber Pendeluhren und vor allem Taschenuhren erfunden, wurden sie zu einer Spielerei oder eine Art Statussymbol für den Mann und die Frau von Stand, so dass diese genauen Uhren ab dem Ende des 17. Jahrhunderts immer mehr in Mode kamen. So schreibt De Padova in Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit[1]:
„Uhren mit zuverlässigen Werkvorrichtungen erfreuen sich im Barock zunehmender Beliebtheit. Noch beeindruckender als Wecker sind bewegliche Figuren wie krähende Hähne, die zur vollen Stunde mit den Flügeln schlagen, oder trommelnde Bären. Sie werden an Adelshöfen und Volksfesten vorgeführt.“
Welche gesellschaftlichen Veränderungen die Taschenuhr mit sich brachte, beschreibt De Padova so[2]:
„Das Rechnen in Minuten ist für die Menschen neu. Kleine Zeiteinheiten sind im städtischen Leben seit jeher Usus. Halbe, Viertel- oder Achtelstunden verwendet man schon lange, um Wachdienste, Arbeitspausen oder Redezeiten bei Sitzungen zu begrenzen, meist mithilfe von Sanduhren. Minutenangaben begegnete man bisher ausschließlich im astronomischen Kontext. Doch bereits zur Jahrhundertwende [also um 1700] sind Minutenzeiger auch bei Taschenuhren allgemein üblich.
[…] Während ihre Zeiger Zeitpunkt für Zeitpunkt unaufhaltsam vorrücken, verwandelt sich die Zeit in eine genormte, objektivierte Größe, die alles Geschehen vernetzt.
Die sprunghaft gestiegene Genauigkeit hat unmittelbaren Einfluss auf das allgemeine Zeitempfinden. Es liegt in der Logik der neuen Chronometer selbst, dass man nun von ‚Pünktlichkeit‘ zu sprechen beginnt. Allein dadurch, dass die Technik präzisere Zeitangaben möglich macht, mahnte sie auch eine strikte Anpassungsleistung an. Dem Einzelnen lässt sie kaum eine Wahl, ob er sich in diese neue Zeitordnung eingliedern möchte oder nicht. Wo diese zur Norm wird, muss er sich daran gewöhnen.
In einer Gesellschaft, die den Müßiggang moralisch verdammt, weil die von Gott gezählte Zeit nicht verschwendet werden dürfe, setzt sich die Verengung des Zeitrasters beinahe mühelos durch. Vor allem Puritaner fordern eine strenge Arbeitsdisziplin.
[…] Mit der Verbreitung der neuen Uhren intensiviert sich der Wunsch, Handlungszeiten zu verkürzen, Wartephasen zu verringern und kleine Zeitspannen auszunutzen. Nach und nach verschärfen sich die Arbeitszeitregelungen, Pausen werden beschnitten […].“
De Padova schreibt weiter, wie die genaue Zeitmessung den Kapitalismus beeinflusste[3]:
„Zwischen Zeit und Geld gibt es auch strukturelle Ähnlichkeiten. […] Dass Zeit Geld ist, spiegelt sich an der Schwelle zum 18. Jahrhundert in der Umstrukturierung des englischen Finanzwesens und in der Rationalisierung der Arbeitswelt. Neue Maßstäbe setzen diesbezüglich die Crowley-Eisenwerke in Winlaton. […] Sir Ambrose Crowley hat Englands größtes Unternehmen mit Kapital aus der Hauptstadt an einem günstigen Standort aufgebaut […]. Seine Werkordnung hält fest, dass es von fünf bis 20 und von sieben bis 22 Uhr genau 15 Stunden sind, von denen anderthalb für Frühstück, Mittagessen und sonstige Pausen abgezogen werden. […] In den Crowley-Werken kommen kapitalistische Arbeitsrichtlinien zu einer frühen Blüte. Ähnliche Vorschriften […] werden später Baumwollfabriken und während der Industrialisierung auch von anderen Unternehmen übernommen. Von hier aus lässt sich die Feststellung des Sozialhistorikers Lewis Mumford begreifen: ‚Die Uhr und nicht die Dampfmaschine ist die Schlüsseltechnik des modernen Industriezeitalters.“
In jedem Fall machte die Zeitmessung im 17. Jahrhundert große Fortschritte. Während zunächst nur Stunden und höchstens Viertelstunden messbar waren, hatte man bald Uhren, an denen man zunächst Minuten, dann sogar Sekunden ablesen konnte. Ich glaube, dass diese Entwicklung nicht unerheblich ist für Newtons Begriff der „absoluten Zeit“. Demnach unterscheidet er zwischen einer relativen Zeit, die durch das Abzählen regelmäßiger Bewegungsabläufe definiert ist. Theoretisch kann man aber immer kleinere Intervalle zur Zeitmessung finden, bis die Abstände infinitesimal klein sind und man damit eine fließende, absolute Zeit hat.
[1] De Padova: Die Erfindung der Zeit, S. 54 f.
[2] De Padova: Die Erfindung der Zeit, S. 142 ff.
[3] De Padova: Die Erfindung der Zeit, S. 266 f.
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