Die Zahlen der Griechen

Wenn die alten Griechen von Zahlen sprachen, dann verstanden sie darunter das, was heutige Mathematiker natürliche Zahlen nennen; also: 1, 2, 3, 4, …

Genaugenommen galt ihnen die Eins nicht wirklich als Zahl, sondern als eine Art Grundbaustein, aus denen alle anderen Zahlen entstehen. Damals gab es noch kein dezimales Stellenwertsystem, es gab keine Null und auch nicht die Zahlensymbole, die ich hier gerade verwendet habe. Außerdem kannten sie keine uns heute so vertrauten Symbole wie  oder =.

In altgriechischen Texten wurden die Zahlen häufig ausgeschrieben; also: Eins, Zwei, Drei, Vier etc. Zur prägnanten Notation von Zahlen kannten die Griechen zwei Systeme. Das eine ist ähnlich dem, was wir von römischen Zahlen kennen. Das andere verwendet einfach das griechische Alphabet. Somit wird die Eins auch als α, die Zwei als β und die Drei als γ geschrieben. So wurde zum Beispiel 1045 + 40 = 1085 so geschrieben:

„Wird zur Zahl αμε die Zahl μ addiert, dann ergibt dies απε.“

Man sieht sofort, dass die moderne Schreibweise viel übersichtlicher, kürzer und klarer ist. Außerdem sind die antiken Notationen fürs Rechnen sehr ungeeignet[1]. Daher benutzten die Griechen, wenn es im Alltag darum ging, Zahlen zu addieren oder zu multiplizieren, den Abakus. So konnten geübte Rechner schnell zu Ergebnissen kommen. Das Problem war nur, dass der Rechenweg nicht schriftlich, und somit auch nicht überprüfbar war. Hatte man Zweifel an dem Ergebnis, musste man die ganze Abakus-Prozedur noch einmal machen. Die fehlende Schriftlichkeit war sicher ein Hemmnis für die Ausbildung einer Algebra, wie sie sich später bei den Arabern und im Europa der Renaissance entwickelte.

Die Griechen kannten auch keine Bruchzahlen, wie beispielsweise 3/5 oder 7/8. Stattdessen sprachen sie von Zahlenverhältnissen, wie „Drei zu Fünf“ oder „Sieben zu Acht“. Diese Zahlenverhältnisse galten ihnen aber nicht als Zahlen, genauso wenig wie die sogenannten irrationalen Zahlen, wie z.B. die Wurzel von 2 oder das Bogenmaß π.

Neben den natürlichen Zahlen, die damals der Gegenstand der Arithmetik waren, kannten die Griechen in der Geometrie noch sogenannte Größen. Wir würden sie heute “Längen von Strecken” nennen und für uns gelten sie im Prinzip auch als Zahlen. Das hängt übrigens mit der Arithmetisierung der Geometrie, seit Descartes die Analytische Geometrie erfand. Die Griechen aber, wie gesagt, unterschieden zwischen (arithmetischen) Zahlen und (geometrischen) Größen bzw. Streckenlängen.

Wenn man dies alles bedenkt, ist klar, dass die Vorstellung, die sich die antiken Mathematiker von den Zahlen machten, sicherlich anders war im Vergleich zu unserer heutigen Vorstellung von den Zahlen.

[1] Dies hat Thomas de Padova anschaulich beschrieben in [8], S. 8 ff. und S. 35 ff.

2 Kommentare
  1. Thinking sagte:

    Mich beschäftigt schon lange die Frage, warum die Araber, deren Zahlenmathematik sich zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert nach Christus auch in Europa durch setzten, nach dem 15. Jahrhundert nach Christus wissenschaftlich keine Rolle mehr spielten.

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    • peterreins sagte:

      Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist Ihre Frage: Warum fand in Europa in der Neuzeit eine naturwissenschaftliche Revolution statt und nicht in der islamischen Welt? Warum gab es in Europa einen Galilei, einen Huygens, einen Newton, nicht aber dort? Und diese Frage ist deswegen besonders interessant, weil beide Kulturkreise – philosophisch gesehen – ja zunächst einmal dieselben Voraussetzungen hatten. Denn sowohl bei uns als auch in der islamischen Welt wurden die antiken Philosophen, vorneweg Aristoteles, nicht nur studiert, sondern als wissenschaftliche Autoritäten angesehen.
      Übrigens kann man mit demselben Recht fragen: Warum ist die moderne Naturwissenschaft nicht bereits bei den hellenistischen Mathematikern des 2. Jahrhunderts vor Christus in Alexandria entstanden? Archimedes und andere standen offenbar kurz davor. Welcher letzte Schritt fehlte sowohl damals in Alexandria, als auch in der islamischen Welt der frühen Neuzeit?
      Auch ich habe mich mit dieser Frage beschäftigt. Und meine erste Vermutung war, dass in Europa irgendwann die Empirie einen höheren Stellenwert bekommen hat. Wenn heutige Physiker über die Geschichte ihrer Disziplin nachdenken, dann heben sie fast immer hervor, dass Galilei damit begann, systematisch zu experimentieren. Experiment und die Akzeptanz der sinnlichen Erfahrung wären demnach die entscheidenden Punkte, die zur modernen Naturwissenschaft geführt hätten.
      Mit dieser Annahme habe ich mich dann selbst sowohl mit Galilei und mit Newton beschäftigt. Ich habe also tatsächlich in deren originalen Werke hineingeschaut. War aber dann mehr als überrascht, dass keine Rede davon sein kann, dass Galilei oder Newton die Empirie über die Theorie stellten. Paradoxerweise könnte man sogar sagen: eher im Gegenteil. Beide vertraten wissenschaftliche Standpunkte, die der sinnlichen Wahrnehmung vehement widersprechen. Mehr jedenfalls als es die Physik des Aristoteles tut. Zwei Beispiele dazu. Erstens. Das heliozentrische Weltbild widerspricht offensichtlich unserer alltäglichen Erfahrung. Jeder, der nicht wissenschaftlich vorgebildet ist, würde sofort und ohne zu zögern sagen: Die Erde bleibt stabil und die Sonne dreht sich um die Erde. So der offensichtliche Augenschein. Galilei und Newton hingegen behaupten das Gegenteil. Wer ist und näher an der Empirie? Galilei oder Aristoteles?
      Zweites Beispiel: Das Trägheitsgesetz der modernen Physik. Nach diesem Gesetz müsste eine Kugel, die man auf einer sehr glatten (und möglichst unendlich langen) Ebene anschubst, nie mehr aufhören zu rollen. Wo auf dieser Welt hat man so etwas tatsächlich schon einmal gesehen? Das Trägheitsgesetzt ist ein theoretisches Konstrukt, das dem offensichtlichen Augenschein bzw. der Empirie des Alltags widerspricht. Siehe zu diesem Thema übrigens auch die Arbeiten von A. Koyré und Feyerabend.
      Die Neubewertung der Empirie kann es also nicht gewesen sein, was zur Ausbildung der modernen Physik geführt hat. Was war es dann?
      Meiner Meinung nach war es die Mathematisierung der Natur. Die antiken Philosophen sahen zwar, so wie ich es sehe, die Mathematik als großes wissenschaftliches Vorbild an. Sie hielten sich aber vor allem an den Unterschied zwischen unserer erfahrbaren Welt einerseits und der idealen Welt der Mathematik andererseits. Der antiken Philosophie war die Natur wesensmäßig verschieden von der Mathematik. Natürlich gibt es Gebilde im Sand, die aussehen wie ein Kreis. Ein antiker Philosoph würde aber sofort betonen, dass dieses physische Gebilde niemals identisch ist mit dem ideal-mathematischen Kreis.
      Bei Galilei hingegen werden vor allem die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten betont. Das Gebilde im Sand ist eigentlich oder im Wesentlichen eben doch ein Kreis. Und ich kann Erkenntnisse über dieses physische Gebilde gewinnen, indem ich es mathematisch als Kreis auffasse (was es ja genau genommen nicht ist). Die ganze Natur wird mathematisiert. Deswegen sagte Galilei ja auch, dass das Buch der Natur in den Buchstaben der Mathematik geschrieben sei.
      Diesen Schritt, die Mathematisierung der Natur, vollzogen nicht a) die hellenistischen Wissenschaftler in Alexandria und auch nicht b) die Wissenschaftler in der islamischen Welt der frühen Neuzeit.

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