Kay Herrmann: Was außerhalb meines Geistes ist und was ich davon wissen kann

In dem Science-Fiction-Film Matrix erkennt der Protagonist Neo, dass sein ganzes bisheriges Leben nur das Produkt einer gigantischen Computersimulation war. Er lebte also nicht in einer realen Welt, sondern in einer bloß virtuellen, scheinbaren Wirklichkeit. Tatsächlich befand er sich in einer düsteren von menschenfeindlicher künstlicher Intelligenz beherrschten Welt. Sein Körper wurde in einer Kapsel am Leben gehalten und sein Gehirn war an einem Computer angeschlossen, um ihm eine positive, lebenswerte Scheinwelt vorzugaukeln.

Ein anderer Science-Fiction-Film ist Inception. Hier hat das US-Militär ein Verfahren entwickelt, um Menschen subtil über ihre Träume zu manipulieren. Dazu werden Traumwelten aufgebaut, die kaum von der Realität zu unterscheiden sind.

Beide Male wird die Frage thematisiert: Wie können wir unterscheiden, ob das, was wir gerade erleben, wirklich passiert, oder nur Teil eines Traums bzw. Teil einer simulierten Scheinrealität ist? Dass es sich hierbei nicht nur um ein theoretisches Problem handelt, sondern um eine Frage, die den Menschen existenziell tief berühren kann, spricht Schopenhauer aus. Er drückt das Gefühl aus, dass die Welt, in der wir leben, nichtig, bloße Illusion, von „traumartiger Beschaffenheit“[1] ist. Damit bekommt unsere Erlebniswelt eine nihilistische Färbung. Fasst man die herkömmliche Realität als nichtige Illusion auf, dann entzieht man dem Menschen den Boden seiner gewöhnlichen Existenz. Alles ist dann im Grunde haltlos, fraglich, beängstigend.

Auch Kay Herrmann beschäftigt sich in seinem Buch Was außerhalb meines Geistes ist und was ich davon wissen kann mit dieser Frage. Er sieht sie aufgefächert in verschiedene Themenkreise und zeigt, wie sie sich wie rote Fäden durch die Philosophiegeschichte ziehen. Zunächst trat sie weniger als persönlich-existenzielle Frage auf, sondern als naturwissenschaftliche Frage nach dem Aufbau der materiellen Welt, sowie ihren Bezug zum menschlichen Geist. Herrmann geht dazu die Philosophie durch von den antiken Philosophen, über die mittelalterlichen, neuzeitlichen Denker. Interessant fand ich vor allem seine Darstellung des mechanischen Materialismus, den einige französische Aufklärer im 18. Jahrhundert vertraten. Die heutige Naturwissenschaft fasst die Materie auf als zusammengesetzt durch kleinste Bausteine: Alle Dinge bestehen aus Atomen und Molekülen, diese aus Elektronen, Protonen und Neutronen, die wiederum aus Quarks, Quantenschleifen, Superstrings oder ähnlichem bestehen. Diese Theorien sind so abstrakt und mathematisch, dass man glauben könnte, die Grundstruktur der materiellen Wirklichkeit ist geistig-mathematisch. Letztlich ist es auch mit dem heutigen naturwissenschaftlichen Wissen schwer zu verstehen, was überhaupt die Materie ist, von der wir annehmen, dass sie die tatsächliche Realität konstituiert. Dem entgegengesetzt sieht Herrmann solche persönlichen Erlebnisse, wie man sie jeweils privat für sich als wahrnehmendes, empfindendes und denkendes Lebewesen hat. Zusammengefasst könnte man sie insgesamt „Geist“ bezeichnen. Natürlich gibt es materialistische Modelle, wie ein Mensch möglicherweise zu seinen geistigen Erlebnissen kommen kann. Aber das jeweilige individuelle Bewusstseinserlebnis, wie ich es ganz individuell für mich habe, ist nicht erklärbar. Anders formuliert: Die Erste-Person-Perspektive kann nicht auf die Dritte-Person-Perspektive zurückgeführt werden. Sehr schön drückt dies Leibniz in seiner Monadologie aus:

„Man muss im Übrigen eingestehen, dass die Perzeption [d.i. ein Bewusstseinserlebnis] und was davon abhängt, durch mechanische Gründe […] unerklärbar ist. Wollte man vorgeben, dass es eine Maschine gäbe, deren Struktur Denken, Empfinden und Perzeptionen haben lässt, könnte man diese unter Bewahrung derselben Proportionen vergrößert begreifen, so dass man in sie wie in eine Mühle hineintreten könnte. Dies gesetzt, würde man beim Besuch im Innern nur einander stoßende Teile finden, niemals aber etwas, was eine Perzeption erklärt. So muss man sie in der einfachen Substanz und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der Maschine suchen. […]“

In diesem Sinne vertritt auch Herrmann eine These, wie das Verhältnis von Materie und Geist zu verstehen ist, die ich aber an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.

Einen weiteren Themenkreis sieht Herrmann in dem Spannungsverhältnis zwischen Objektivität und Subjektivität. Wissenschaft hat den Anspruch, objektiv zu sein. Sie soll eben möglichst vorurteilsfrei, unabhängig von persönlichen Gefühlen und dergleichen sein. Andererseits ist Wissenschaft immer in einer menschlichen Sprache abgefasst und von menschlichen Denkern ersonnen. Insofern kann sie das Subjektiv-Menschliche niemals abstreifen.

Ähnliches lässt sich schließlich über das Gegensatzpaar: Reales – Konstruiertes, sagen. Herkömmlicherweise halten wir die Dinge, die wir sehen, hören oder ertasten, für real. Und zwar unabhängig von uns. Recht besehen, ist es aber fraglich, wie eine Rose „rot“ sein kann ohne einen Menschen der sie so sieht, oder wie sie „lieblich duftend“ sein soll, ohne einen riechenden Menschen, oder wie sie „stachelig“ sein soll, ohne einen tastenden Menschen. Auch hier will ich den Gedanken, die sich Herrmann dazu macht, nicht vorgreifen.

Kay Herrmann wendet sich an philosophisch interessierte Laien, die Spaß daran haben, in die Gedankenwelten verschiedenster Philosophen einzutauchen. Was ist Materie und Geist und wie stehen sie zueinander? Wie objektiv oder subjektiv ist die Wirklichkeit? Können wir überhaupt etwas von einer Außenwelt wissen, wie sie unabhängig von unserem jeweiligen geistigen Innenleben existiert? Wie konstruiert ist die die Realität?

[1] Schopenhauer: Kritik der Kantschen Philosophie, Gesamtausgabe (hg. Lütkehaus) Bd. 1, S. 537.

1 Kommentar
  1. Holger Fischer sagte:

    “In dem Science-Fiction-Film Matrix erkennt der Protagonist Neo, dass sein ganzes bisheriges Leben nur das Produkt einer gigantischen Computersimulation war.”

    Es ist sehr unangenehm, eine solche Variante für denkbar zu halten. Mit einer Sicherheit von 100% kann diese Version allerdings nicht ausgeschlossen werden. Es gibt mehrere Filme, die auf dem Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye aus dem Jahr 1964 basieren. Zu nennen ist da auch “The 13th Floor – Bist du was du denkst? (1999).”

    Welt am Draht

    Erstmals wurde dieser Stoff mit dem Zweiteiler Welt am Draht aus dem Jahr 1973 verfilmt ->

    https://info-allerlei.de/welt-am-draht.html

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